Mond der Unsterblichkeit
Steinen.“
„Was redest du denn da? Wen hast du gesehen?“ Amber betrachtete Sally, die einem grauen, viel zu weiten Pullover und zerzausten Haaren wie eine Voge l scheuche aussah. Ihre Augen wirkten noch größer als vo r hin und dominierten ihr spitzes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Plötzlich drehte Sally sich um, und umklammerte grob Ambers Han d gelenk.
„Du musst mir glauben. Moira ist nicht mit Connor fortgelaufen.“
Amber entzog Sally ihre Hand. „Und wieso bist du nicht zur Polizei g e laufen und hast das ausgesagt?“
„Weil die mir nicht glauben.“
„Und was geht das mich an? Ich habe Moira gar nicht gekannt.“
Sallys Blick war wirr, ihre Lider flatterten. Sie fuhr mit der Zunge über ihre spröden Lippen. „Du bist anders als die anderen, gehörst nicht zu denen.“
„Ich kann dir nicht folgen, Sally.“
„Viele von ihnen treffen sich regelmäßig. Connors Tante gehört auch zu ihnen.“ Sallys Hände zitterten. „Ich will nicht, dass sie mich holen, so wie Moira“, brach es aus ihr. In ihren Augen schi m merte es feucht.
„Wer trifft sich und will dich holen? Du sprichst in Rätseln.“ A m ber stöhnte auf. Dann sah sie, wie Sally in sich zusammensackte.
„Vielleicht gehörst du auch schon zu denen.“
Sie war ein bedauernswertes Geschöpf. Irgendein Trauma musste diese Ve r wirrtheit ausgelöst haben. Amber bemitleidete das blasse Mädchen, das nur noch ein Schatten seiner selbst war.
„Zu wem, in Gottes Namen? Ich kenne hier doch niemanden.“
„Der Orden.“
„Der Orden?“
„Der Druidenorden.“ Sally schluchzte auf. „Ich fürchte mich so sehr. Sie hat g e sagt, sie werden mich auch holen.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht, ihre Schultern zuckten im Rhythmus der Schluc h zer.
„Niemand wird dich holen. Irgendjemand will dich ängstigen, glaub mir.“
„Wenn ich sie doch gesehen habe! Blut, überall war Blut. Sie trinken es. Sie e s sen unser Fleisch!“
Amber legte den Arm um sie. Das alles hörte sich nach einem schlechten Ho r rorfilm an. Sie fragte sich, was Sally zu diesen Fant a sien beflügelt haben mochte. Der schmächtige Körper in ihren A r men zitterte wie Espenlaub. Amber strich ihr eine Weile über das dunkle Haar, bis Sally sich ein wenig beruhigt hatte. Sally erinnerte sie an ihr Kätzchen Morgaine, das sie in der Londoner Mülltonne g e funden hatte, genau so verän g stigt.
„Bitte sag niemandem etwas davon, sonst bringen die mich wieder in die A n stalt zurück“, bat Sally und schniefte.
Amber nickte und reichte ihr ein Taschentuch. „Das bleibt unter uns.“
„Hältst du mich auch für verrückt?“
Amber zögerte einen Moment mit der Antwort. Dann sagte sie schließlich: „Nein, du bist nur ve r stört.“
„Danke.“ Ein schüchternes Lächeln flog über Sallys Gesicht, das Farbe in i h ren Teint zauberte.
„Ist schon okay. Soll ich dich nach Hause bringen?“
Sally nahm das Angebot dankend an.
6.
D er Wind hatte zugelegt, als Ambers Mini später auf dem Parkplatz vor dem Schloss hielt. Es heulte um die Mauern, und am Himmel braute sich ein Gewitter zusammen.
Um dem drohenden Regenguss zu entgehen, schloss sie den Wagen ab, und eilte auf dem schmalen, von Efeu überwucherten Pfad entlang, der zum Schlo s seingang führte. Stimmen drangen zu ihr, deren Worte durch den Wind nur ve r zerrt bei ihr ankamen.
Sie sah Aidan aus der Entfernung auf sich zu kommen, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet und er lief schnellen Schrittes fast an ihr vorbei. Er musste in Gedanken versunken sein.
„Hallo …“
Plötzlich sah er sie an, sein Blick verwandelte sich in ein kleines, schiefes L ä cheln und er eilte weiter.
Enttäuscht sah sie ihm hinterher. Seine Wage n tür klappte zu, der Motor heulte auf, und Aidan fuhr mit quietschenden Reifen d a von.
„Na, wie war dein Tag, Liebes?“
„Sehr abwechslungsreich, Dad“, antwortete Amber, und brachte nur mit Mühe ein Lächeln zustande. „Ich bin schrecklich müde.“
„Das glaube ich. Erzähl uns doch ein wenig beim Abende s sen, wie es in der Uni gelaufen ist. Mom und ich sind schon g e spannt. Kevin ist übrigens begeistert von seinem neuen Co l lege. Die haben dort einen engagierten Fußballtrainer.“
Amber schmunzelte und dachte daran, wie sorgsam ihr Bruder das Beckham-Poster im Umzugskarton verstaut, und das Aufhängen in seinem Zimmer zel e briert hatte, als wäre der Fußballstar ein
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