Mond der Unsterblichkeit
Heiliger.
„Schön, freut mich. Ich ruh mich ein wenig aus.“
„Wie war’s denn?“
Mom trat aus der Küche mit erwartungsvollem Blick, eine Rüh r schüssel mit Kuchenteig unter den Arm geklemmt. Mehl klebte an G e sicht und Kleidung. Der Anblick hatte etwas Behagliches, Vertrautes. Der Duft von kandiertem Z u cker drang in ihre Nase. Sie beobachtete amüsiert, wie ihr Vater, angelockt vom süßen Duft, in der Küche ve r schwand.
„Mhm, riecht das lecker, Mom. Machst du etwa wieder deinen berühmten Applepie?“
Schon bei der Vorstellung lief Amber das Wasser im Mund zusammen. Sie streckte den Zeigefinger aus, um ihn in die Teigschale zu tauchen. Mom hob warnend den Zeigefinger.
„Mr. Macfarlane hat mich darum gebeten einen zu backen, weil er heute A bend Gäste bekommt.“
„Wieso kauft der sich denn keinen Kuchen?“
„Selbstgebackener Kuchen ist was Besonderes. Ich freue mich, ihm helfen zu können.“ Für Mom gab es nichts Schöneres, als wenn jemand ihre Back- und Koc h künste in den Himmel lobte.
„Hoffentlich nutzt der das nicht aus, und will jeden Tag deinen Kuchen haben. Dem trau ich alles zu.“ Nur nichts Gutes, ergänzte A m ber in Gedanken.
„Ich möchte nicht, dass du so abfällig über Mr. Macfarlane sprichst. Er ist ein sehr großzügiger Mann“, verteidigte ihn Mom. Dann drehte sie sich um und hielt beim Rühren inne.
„Fin, nimm den Finger aus der Zuckerglasur, ich sehe es genau.“ Sie verdrehte die Augen. „Dieser Mann ist eine Naschkatze. Keine Süßigkeit ist vor ihm s i cher.“
„Ehrlich, Mom, mit diesem Macfarlane stimmt was nicht, das hab ich im G e fühl.“
„Ach, Blödsinn. Er ist vielleicht kauzig, aber nicht unrecht. Vergiss nicht, was wir ihm zu verdanken haben.“
„Wenn du meinst. Ich mag ihn trotzdem nicht.“
„Du solltest ihn das nicht spüren lassen. Ohne ihn hätte Dad keinen Job, und wir würden jetzt in einer kleinen Sozialwohnung i r gendwo in London wohnen. Und deine Träume als Schauspielerin hättest du b e graben können. Versuch bitte, nett zu ihm zu sein.“
Todmüde sank Amber auf das weiche Bett und schlief sofort ein. Als sie erwac h te, war es bereits dunkel. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass ihre Mutter in wen i gen Minuten zum Abendessen rufen würde. Es klop f te an der Tür. Kevin trat ein, was für ihn sehr ungewöhnlich war, weil er nie freiwillig schrille Weiberzi m mer betrat.
„Hast du kurz Zeit?“, fragte er mit seiner blechern klingenden Stimme, die im Stimmbruch nach Belieben die Tonhöhe wechselte.
„Wenn du von deinem ersten Schultag erzählen willst, ist das okay, willst du aber eine meiner DVDs, kannst du dir das aus dem Kopf schl a gen. Batman hat nämlich einen dicken Kratzer und hakt. Oder bist du etwa wieder heimlich mit meinem Wagen gefahren? Wehe dir, ich petze es Dad“, sagte sie vorwurfsvoll.
„Nee, alles nicht.“ Er trat von einem Fuß auf den anderen, den Blick auf seine Zehenspitzen geheftet.
„Was dann? Mach’s kurz, weil Mom uns gleich zum Abendessen ruft.“
„Hier gehen merkwürdige Dinge vor sich.“
So etwas Ähnliches hatte sie heute schon einmal gehört. „Und was?“
„Jeden Abend, auch heute, wird Macfarlane von Leuten besucht.“
„Na und? Er kann doch jederzeit Besucher empfangen. Was ist schlimm d a ran?“
„Eigentlich nichts, aber die verhalten sich wie Sektenmitglieder, mit so kom i schen Zeremonien und so.“
„Kannst du deutlicher werden?“
„Na, ja, eben so …“
„Komm zur Sache, Bruderherz.“
„Du musst mit in mein Zimmer kommen, und zum Fenster hinau s sehen.“
„Von mir aus.“
Amber bahnte sich einen Weg durch die am Boden befindliche U n ordnung aus schmutzigen Klamotten, leeren Flaschen und Müll, und trat neben Kevin ans Fenster. Er schob die Vorhänge beiseite.
Sie lehnte ihre Stirn an die kalte Scheibe und erkannte im Schein der Beleuc h tung den Eingang zum Haupttrakt. Alles war wie immer.
„Ich sehe nichts. Willst du mich verklapsen?“
Kevin stieß sie an. „Ey, Mann, du sollst auch nicht zum Eingang sehen, so n dern da drüben zur alten Eiche.“ Er tippte mit dem Finger g e gen die Scheibe.
„Mach mal das Licht aus, ich kann nichts sehen.“
Kurz darauf schweifte ihr Blick durch die Dunkelheit hinüber zu der alten E i che.
„Tatsächlich, da brennen Fackeln.“
Fackeln, in einem großzügigen Kreis um die Eiche in den Boden gesteckt, b e leuchteten eine Szen e rie, die an eine Hexenverbrennung oder ein
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