Mond der verlorenen Seelen
schürzte beim Grübeln die Lippen. „Ich glaube, sie hatte braune Haare wie diese Beth. Und grüne Augen. Vielleicht ein Stück kleiner als du.“
„Mit schmalen Lippen und einem Muttermal an der Wange?“
Kevin nickte. Amber hielt die Luft an, als ihre Befürchtung sich bestätigte. Sie war ein Dämon. Ihr wurde übel. Es war Beth gelungen, sie so zu manipulieren, dass sie an Aidans Schuld glaubte. Das würde alles erklären.
„Wie kommst du nur immer darauf, Aidan könnte es gewesen sein?“
Amber erzählte ihrem Bruder, wie sie ihn und Beth gefunden, und welche Bilder sie bei der Berührung Beths gesehen hatte.
„Dämonen sind doch Meister der Täuschung. Die hat dich ganz schön verarscht.“ Er grinste breit.
„Ja, leider“, gab sie zähneknirschend zu.
Weshalb hatte sie nicht an diese Möglichkeit gedacht? Weil sie nur an sich selbst und ihre Eingebungen geglaubt hatte und nicht an Aidan. Sie war so blind gewesen. Wenn sich das alles bewahrheitete, hatte sie Aidan in die Arme Revenants getrieben. Ihr wurde schwindelig. Ihre sonst ach so feinen Sinne hatten versagt.
„Hast du Aidan etwa gesagt, dass du ihn verdächtigst?“
Amber nickte und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
„Du musst ihm alles erklären. Er wird es verstehen.“
Dafür war es zu spät. Aidan war verloren. Die Schuldgefühle wollten nicht enden. Ihr Herz schlug dumpf und schwer in der Brust. Diesen Brocken musste sie erst einmal verdauen. Sie verschwieg Kevin ihre Trennung von Aidan und dass er in die Schattenwelt zurückwollte.
„Ich glaube, ich muss jetzt mal allein sein“, sagte sie heiser.
„Kommst du morgen wieder?“ Kevin sah sie erwartungsvoll an.
Wie betäubt erhob sie sich. „Natürlich Bruderherz.“
„Kannst du mir nen Hamburger mitbringen? So nen Doppelstöckigen mit viel Ketchup und Käse? Der Fraß hier ist ungenießbar.“ Er verzog sein Gesicht.
„Klar doch“, antwortete Amber abwesend. Ihre Gedanken schweiften zu Aidan, den sie zu Unrecht verdächtigt hatte. Benommen verabschiedete sie sich und verließ das Zimmer. Draußen lehnte sie sich für einen Moment mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen. Sie dachte an ihren Streit mit Aidan und an den Dämonenpfad. Hermit hatte auch mit seiner Behauptung recht behalten, sie überschätze ihre Fähigkeiten. Eine wahre Druidin wäre nicht auf die dämonischen Trugbilder hereingefallen.
Das vertraute Klappern von Tellern zur Mittagszeit holte sie in die Realität zurück. Eine Krankenschwester schob einen Wagen mit Essen an ihr vorbei in Kevins Zimmer. Hinter ihr tauchte Mom auf.
„Ach, Amber, Kevin kommt schon morgen raus. Aber er braucht noch viel Ruhe. Ist das nicht eine gute Nachricht?“, verkündete Mom fröhlich und drückte ihren Arm. Aber ihre Worte drangen nur langsam in Ambers Bewusstsein.
,,Ja, ja, natürlich. Mir ist nicht gut, ich muss raus an die frische Luft. Wartet nicht, ich gehe ein wenig spazieren und nehme dann den Bus.“
„Ja, aber ...“
Moms Antwort ging unter, als Amber in den Aufzug eilte.
„Und ich dachte immer, deine Amber könnte sich besser benehmen“, hörte sie Tante Georgia noch sagen, bevor die Fahrstuhltür sich schloss.
Raus, nur raus. Alles erdrückte sie, Mom, Tante Georgia, die Atmosphäre im Krankenhaus. Amber konnte nicht mehr denken und hoffte, von der kühlen Luft draußen einen klaren Kopf zu bekommen. Sie hätte Amoklaufen können, so erregt war sie von Kevins Schilderung. Was hatte sie nur getan?
Tränenblind lief sie durch die Straßen von Inverness. Verdammt! Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken fort und überquerte auf der Brücke den River Ness. In der Mitte blieb sie stehen, sah über die Brüstung hinab auf das graue, zäh fließende Wasser und hing ihren trüben Gedanken nach.
Vielleicht konnte sie Aidan mental erreichen und ihn zur Rückkehr bewegen. Die ganze Zeit hatte sie das Verlangen gewaltsam unterdrückt, ihn wiederzusehen, weil sie sonst verrückt vor Sehnsucht geworden wäre. Das Leben an der Seite eines Vampirs bedeutete eine Herausforderung. War sie wirklich dazu bereit?
Auch wenn ihr Verstand etwas anderes riet, ihr Herz entschied anders.
Amber lief ziellos durch die Stadt und schenkte den Geschäften mit ihren Auslagen kein Augenmerk. Ein Blechschild, das etwas zu tief über dem Eingang eines Souvenirshops hing, stoppte sie unsanft.
„Mist!“, entfuhr es ihr. Sie sah nach oben und rieb sich die Stirn. Die Hexe auf dem Schild grinste sie von oben
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