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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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blinzelte. Durch die Wipfel schien die Sonne herab. Jeder Strahl bohrte sich in seine Augen wie feine Nadelstiche. Eine Sonnenbrille wäre jetzt durchaus hilfreich. Er biss die Zähne zusammen und zog sich an der Mauer hoch. Während er in den Wald humpelte, breitete sich der Schmerz rasant aus. Er blieb stehen und zog den Pflock aus der Wade. Das Silbergift verteilte sich bereits in seinem Körper. Aidan schleuderte den handgroßen Pflock fort. In seinem Bein klaffte ein tiefes Loch, das bis zum Knochen reichte. Er stöhnte vor Schmerz auf, als er mit dem Fuß aufsetzte. Aber wenn er Amber retten wollte, musste er weiter. Der Schmerz bei jedem Schritt brachte ihn fast um. Sein Kopf schien zu platzen und alles um ihn herum, begann sich zu drehen. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Obwohl er das Moor besser als jeder andere kannte, erschien es ihm in diesem Zustand unmöglich, zu Hermit zu finden.
    „Amber“, flüsterte er und spürte plötzlich ihre Furcht. Wenn er sie retten wollte, durfte er nicht aufgeben. Er stolperte und fiel der Länge nach hin. Mit ausgebreiteten Armen lag er auf dem morastigen Boden. Der Schmerz zuckte wie Blitze durch seinen Körper, während sein Fuß vollkommen taub war, als wäre er ein Fremdkörper. Das erschwerte das Aufstehen. Er stützte sich stöhnend auf seine Arme und zog die Beine an, bis er kniete. Wenn er sich nicht beeilte, wäre sein Körper bald ganz gelähmt. Er krabbelte auf allen vieren zu einem Baum und zog sich daran hoch. Weil er nicht weiter laufen konnte, musste er sich durch die Bäume schwingen. Jetzt spielte er auch noch Tarzan. Er griff nach einem tief hängenden Ast. Der Weg durch die Bäume war mühsam, und er kam nur langsam voran. Als seine Arme zu versagen drohten, war er der Verzweiflung nah. Aber die Furcht um Amber ließ ihn durchhalten, und er schaffte es bis zu Hermits Haus. Erschöpft glitt er vom Baum und fiel auf den Boden.
    Er brauchte eine Weile, um sich zu erholen, bevor er bäuchlings zu Hermits Tür robbte. Überall war seine poröse Haut abgeschürft und blutig. Wie bei einem Gefolterten, dem man die Haut abgezogen hatte. Weil beide Beine gelähmt waren, kroch er auf die Ellbogen gestützt auf die Haustür zu. Rauch stieg aus dem Schornstein. Hermit war zu Hause. Wenigstens hier hatte er Glück. Wenn nur die verdammte Sonne nicht wäre, die seinen Körper in Dörrobst verwandelte. Gut, dass Amber ihn nicht so sehen konnte. Sie wäre bei seinem Anblick entsetzt zurückgewichen. Mit der Faust pochte er an die Tür. Schlurfende Schritte näherten sich, dann wurde die Tür aufgerissen.
    „Aidan? Mein Gott, was machst du hier?“ Hermit beugte sich zu ihm herab.
    „Das zu erklären, könnte länger dauern. Mir bleibt nicht viel Zeit. Ich wurde mit Silber vergiftet. Siehst du, da unten am Bein das Loch. Cecilia hat mich angeschossen.“ Mühsam streckte er den Arm aus und deutete nach unten.
    „Cecilia? Aber ... Bist du sicher?“
    Aidan nickte.
    „Grundgütiger. Silber? Es zerfrisst dich.“
    „Das spüre ich gerade.“ Aidan stöhnte auf, sein linker Arm knickte ein. Die Lähme hatte auch ihn jetzt erreicht. „Hermit, hilf mir. Ich brauche dringend Blut, sonst verrecke ich vor deiner Haustür. Amber ist in großer Gefahr. Revenant ist hier.“
    „Das ist unmöglich!“
    „Glaub mir, er ist hier und er hat Amber.“
    „Ich habe vorhin etwas gespürt. Aber zu spät. Und ich Narr wollte damals nicht auf Amber hören.“
    „Hast du zufälligerweise etwas Blut im Kühlschrank?“ Aidan lachte leise.
    „Natürlich nicht. Aber hier. Bedien dich. Ist zwar nicht mehr das Frischeste, aber es muss reichen.“
    Der Alte kniete sich neben ihn, krempelte den Ärmel seines Wollpullovers hoch und hielt ihm seinen Arm hin.
    Aidan zögerte. Was wäre, wenn er sich nicht kontrollieren konnte und womöglich zu viel von Hermits Blut trank? Er spürte bereits, wie sein Magen sich zusammenzog und das Verlangen in ihm aufstieg, sich einfach darauf zu stürzen. Nur seine Bewegungsunfähigkeit bewahrte den Alten vor seiner Gier.
    „Ich könnte vielleicht nicht mehr aufhören“, gab Aidan zu bedenken und starrte wie hypnotisiert auf Hermits Arm.
    „Passt schon. Ich vertraue dir. Amber muss gerettet werden. Ich kann es nicht, aber du. Also trink endlich.“
    Aidan umfasste Hermits Unterarm und senkte seinen Mund darüber. Der Durst trieb sofort seine Reißzähne aus dem Kiefer, die sich in das Fleisch des Alten bohrten. Aidan versuchte, vorsichtig zu sein.

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