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Mond der verlorenen Seelen

Mond der verlorenen Seelen

Titel: Mond der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Meyer
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ersten Mal erlebe ich dich sprachlos. Gibt es vielleicht sonst noch etwas, was du mir sagen solltest, wenn wir schon Familiengeheimnisse aufrollen? Vielleicht bin ich ja ein Kuckuckskind und meine Eltern stammen aus dem englischen Königshaus.“ Amber unterdrückte ein Schmunzeln, als sie sah, wie verlegen Mom plötzlich tat. Mit dieser Bemerkung wollte sie die Spannung, die zwischen ihnen herrschte, entschärfen.
    „Na, das Prinzessinnenleben könnte dir so passen. Natürlich bist du Danas Tochter. Welche Frage. Die gleiche Ungeduld, die gleiche Unpünktlichkeit. So ist auch deine Mom gewesen, und sie interessierte sich schon als Jugendliche für diesen ganzen übersinnlichen Humbug. Sie hat uns damals damit zur Verzweiflung gebracht.“
    „Nicht für alles, aber für Hellsehen und Prophezeiungen“, stellte Mom richtig.
    „Aha. Und wieso ...?“
    Mom sprang erregt auf und fiel Amber ins Wort. „Großer Gott, ich wollte doch noch mit dem Arzt telefonieren.“
    Sie flüchtete hinaus in den Flur. Immer, wenn ihr ein Gespräch gegen den Strich ging, floh sie.
    „Wenn sie denkt, sie kann sich vor einer Antwort drücken, irrt sie gewaltig. Wieso habe ich das Gefühl, meine Mutter gar nicht zu kennen? Solange ich denken kann, hat sie alles Übersinnliche abgestritten. Meine Fähigkeiten hat sie nicht sehen wollen. Es war ihr sogar unangenehm.“
    „Sie hat sich damals geschworen, sich nie wieder damit zu beschäftigen, nach der Sache mit deinem Vater.“ Tante Georgia beugte sich nach vorn, nahm eine Zigarette und steckte sie sich an.
    „Nach welcher Sache? Ich versteh gar nichts mehr.“
    Tante Georgia zog genüsslich an ihrer Zigarette, als müsste sie nachdenken, wie sie beginnen sollte. „Ich möchte deiner Mutter nicht wieder vorgreifen. Am besten, du fragst sie selbst.“
    Plötzlich ertönte Moms Schrei aus dem Flur. Sofort stürzten Amber und Tante Georgia zu ihr. Mom stand kreidebleich und zitternd, den Telefonhörer in der Hand haltend neben der geöffneten Tür zum Gästezimmer.
    „Ich glaube, ich hab da eben in dem Spiegel etwas gesehen.“ Sie streckte den Arm aus und riss die Augen auf.
    Amber verspürte ein flaues Gefühl im Magen, so wie damals in dem Antiquitätengeschäft. Tante Georgia nahm Mom den Hörer aus der Hand und legte ihn zurück in die Schale.
    „Dana, du warst schon immer ein Angsthase. Bestimmt hast du das Licht der Flurlampe gesehen, das sich da spiegelt. Das liegt nur an eurem Gequatsche über Dämonen und so. Komm, Amber, lass uns nachsehen.“
    Schon war Tante Georgia im Gästezimmer verschwunden. Amber folgte ihr zögernd. Nur Mom verharrte und schnappte nach Luft.
    „Ich weiß, was ich gesehen habe“, murmelte sie und sah Amber flehend an.
    „Sagte ich doch. Da ist nichts, außer dem Flurlicht!“, rief Tante Georgia aus dem Zimmer.
    Amber betrat den Raum. Irgendetwas befand sich hier, sie konnte eine Gegenwart spüren. Revenant! Er war hier, oder vielmehr sein Geist. Diesmal war sie sicher, denn zu stark spürte sie seine Schwingungen.
    „Schau doch selbst, Dana. Nicht wahr, Amber? Unsere Großmutter hat früher immer die Spiegel abgehängt, wenn sie sich beobachtet fühlte.“
    Tante Georgia zwinkerte ihr zu. Mom war inzwischen neben Amber getreten. Sie zitterte noch immer, als ihre Schwester sich am Wäscheschrank zu schaffen machte und ein weißes Laken aus einem der ordentlich gefalteten Stapel hervorzog. Sie breitete es aus und hängte es über den Rahmen oberhalb des Spiegels.
    „So, nun gibt es nichts mehr zu glotzen.“
    Als wenn Dämonen sich davon abhalten ließen, dachte Amber und sah sich verstohlen im Raum um. Sie rechnete jeden Moment mit dem Erscheinen Revenants.
    „Ich will dich ja nicht beleidigen, Georgia, aber es wäre mir wirklich lieber, so wie Amber es vorgeschlagen hat, und wir brächten den Spiegel wieder zurück.“
    Sofort war klar, dass Mom sich mit diesem Wunsch bei ihrer Schwester unbeliebt machte. Tante Georgias Busen hob sich, und sie schnaubte. „So ehrst du mein Geschenk? Aber bitte, wenn du willst. Von mir aus rufen wir gleich morgen in dem Antiquitätengeschäft an und fragen, ob sie ihn abholen.“ Sie murmelte etwas von Undankbarkeit.
    „Tante Georgia, bitte sei nicht beleidigt, aber wir sollten ihn noch heute Abend aus der Wohnung schaffen. Vielleicht können wir ihn in den Turm nebenan schleppen?“
    Tante Georgia rang nach Luft. Man erkannte an ihrer Miene, wie sehr sie sich über die ganze Sache ärgerte.
    „Ja, lasst uns

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