Mond der verlorenen Seelen
über genügend Kraft, um über die Köpfe der Frauen zu springen und zur Treppe zu rennen. Was hätte er jetzt darum gegeben, translozieren zu können.
„Hinterher!“, hörte er Cecilia wütend schreien. Schon klapperten Absätze auf den steinernen Stufen hinter ihm.
Jeder Schritt fiel ihm schwer, er spürte seine Beine kaum. Und er hatte das Gefühl, durch seinen Leib fräße sich eine gierige Raupe, denn die Krämpfe in Magen und Muskeln verschlimmerten sich. Wie ein Junkie auf Entzug. Die Frauen waren ihm dicht auf den Fersen, doch er erreichte vor ihnen die Tür, die aus dem Turm führte. Wäre er im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen, hätte ein Tritt von ihm genügt, sie aus den Angeln zu reißen. Wie sollte er es jetzt mit zwei Hexen und dem Dämon in der Besessenen aufnehmen? Er öffnete die Tür und rannte zum Schlosspark. Dahinter befand sich das Moor, das Schutz bot. Aber die Verfolgerinnen ließen sich nicht so leicht abschütteln. Die Besessene holte ihn ein und stellte ihn. Sie verwandelte sich für einen kurzen Moment in ein grünschuppiges Ungetüm mit wulstigen Lippen und spitzen Zähnen. Aidan erkannte daran, dass die Verschmelzung mit dem Dämon zwar begonnen hatte, aber noch nicht vollendet war. Es waren Dämonen der schlimmsten Sorte, die einen menschlichen Körper in Besitz nahmen, die Moleküle mutieren ließen und den Geist ihres Wirts verdrängten. Das Einzige, was sie menschlich erscheinen ließ, war das Aussehen. Die beiden anderen näherten sich ebenfalls. Aidan vollführte einen Hechtsprung seitwärts in die Rhododendronbüsche, drückte sich durch das dichte Laub und hastete zur Mauer, hinter der das Moor begann. Doch wieder war die Besessene durch den Dämon schneller als er und hatte ihn fast eingeholt. Verflucht! Gerade jetzt hätte er seine Fähigkeiten gebrauchen können und versagte stattdessen. Er warf einen Blick über die Schulter. Ihre grünen Augen funkelten wie geschliffene Smaragde, kalt und gierig. Fieberhaft suchte Aidan nach einem Fluchtweg. Seine Waden und Oberschenkel krampften so stark, dass ihm das Laufen zur Qual wurde. Sie hatte das auch bemerkt und kicherte. Aber sie zögerte, ihn anzugreifen. Das zeugte von Unsicherheit. Sicherlich lag die Symbiose mit dem Dämon noch nicht lange zurück und eine Trennung wäre möglich. Aidan musste auf die Gelegenheit hoffen, sich ihre Unerfahrenheit zunutze zu machen.
In der Zwischenzeit hatten auch die Hexen aufgeholt. Aidans Beine wurden immer schwerer, und die drei Verfolgerinnen kreisten ihn ein. Cecilia legte die Muskete wieder an und zielte.
„Es wird mir ein Vergnügen sein, dich zu vernichten. Dann kann uns niemand daran hindern, Amber mit dem Lord der Schattenwelt zu vereinen.“
„Warum will er ausgerechnet Amber besitzen?“, fragte er, um Zeit zu schinden. Er trat einen Schritt auf die Besessene zu und hoffte auf ein Überraschungsmoment, um sie außer Gefecht zu setzen. Das Klicken in Cecilias Muskete brachte ihn zum Stoppen.
„Halt! Verrecke an dem Silber!“
Aidan checkte den Abstand zur Besessenen ab. Es bedurfte nur eines Sprungs, sie niederzustrecken. Das war riskant, weil seine Kräfte stetig nachließen, und er konnte Cecilias Treffsicherheit nicht einschätzen. Aber er musste Amber retten. Sie in der Gewalt des Vampirs zu wissen, verlieh ihm ungeahnte Reserven. Cecilias Lippen umspielte ein zufriedenes Lächeln, als sie bedächtig den Abzug zog. In diesem Augenblick stürzte Aidan sich auf die Besessene. Ein Schuss ertönte. Sie krachten auf den Boden. Die Besessene hob an, zu schreien. Aber heraus kam nur ein Röcheln. Aidan lag auf ihrem zuckenden Körper und sah zu Cecilia und der anderen auf, in deren Mienen sich Entsetzen spiegelte. Cecilia fingerte unter ihrer Kutte nach einem zweiten Pflock. Bevor sie erneut zielen konnte, drehte Aidan sich blitzschnell um und sprang hoch. Aber seine Kräfte verließen ihn erneut, und er prallte gegen die Mauer. Er schrie auf, während seine Finger sich um die Mauerkrone krallten. Keuchend hievte er sich empor, als ein weiterer Schuss ertönte und ein ungeheurer Schmerz seine Wade durchzuckte. Mit letzter Kraft schwang er sich über die Mauer und fiel wie ein Sack hinunter.
Stille. Er sah nach oben, in der Erwartung, dass die Hexen ihm folgten, aber nichts geschah. Dann hörte er Flüstern.
„Der macht es nicht mehr lange. Kommt ...“
Die letzten Worte konnte er nicht mehr verstehen. Ein schleifendes Geräusch folgte, bis wieder Stille herrschte. Er
Weitere Kostenlose Bücher