Mond-Elfe
sollst doch ein Häuptling werden!« protestierte Jenny.
»Ich würde aber lieber Freunde haben.«
Jenny sah ein, daß das Koboldmädchen genauso nötig einen Freund brauchte wie Che. Che hatte zu Hause viele Freunde und Jenny auch, ihr einziges Problem war, daß sie eben nicht zu Hause waren. Gwenny war zwar zu Hause, aber ohne Freunde; ihre Lage war also genau so mißlich.
»Kommt, wir gehen auf Entdeckungen aus«, schlug Jenny vor, um das Thema zu wechseln, da sie wirklich nicht das geringste mit diesem Umstand anzufangen wußte. »Ich kann euch erzählen, was ich sehe, und ihr könnt mir sagen, wer oder was das ist.«
»Ich weiß nicht, ob das vernünftig ist«, sagte Che. »Andere werden dich sprechen hören und werden merken, daß Gwenny die Dinge nicht unmittelbar wahrnimmt.«
Daran hatte Jenny nicht gedacht. »Vielleicht könnte ich ja flüstern.« Aber sie sah ein, daß das trotzdem ein Problem blieb. »Oder wenn wir uns einen Geheimkode ausdächten, den die anderen nicht kennen. Nur glaube ich nicht, daß ich etwas allzu Kompliziertes behalten könnte.«
»Ich schon«, stellte Che fest. »Das ist sicher mit einer der Gründe, warum Godiva einen Zentauren gewählt hat. Es würde verhältnismäßig einfach sein, eine Technik zu ersinnen, die auf eine wirkliche Zeichensprache hinauslaufen würde, die nur wir kennen. Diese Zeichen müßten eher hörbar oder fühlbar statt sichtbar sein, da Gwenny auf Entfernung nicht so gut sieht. Ich glaube, fühlbar wäre das beste, wenn sie auf einem Zentauren reitet. Einfache Schwanzhiebe oder einfaches Zucken mit der Haut könnten Zustimmung oder Verneinung signalisieren, und anspruchsvollere Kombinationen könnten der weiteren Verständigung dienen.«
Gwenny überlegte. »Ich glaube, das ist im Augenblick zu kompliziert für mich. Ich möchte gerne ausgehen, aber ich glaube, ich sollte besser warten, bis ich sicher bin, daß ich damit umgehen kann. Wenn Knurps je hinter meine Schwäche käme, würde ich verurteilt werden, und er ist so hinterlistig, daß ich ihm das zutraue.«
»Vielleicht könnten wir hierbleiben und mit Zauberei spielen«, schlug Che vor. »Hast du magische Fähigkeiten, Gwenny?«
»Nein. Das heißt, ich allein nicht. Kobolde haben die eine Hälfte des Talents und Harpyien die andere, deshalb ist es für uns nicht leicht zu zaubern. Gewiß werde ich den Zauberstab bekommen, aber noch nicht jetzt.« Sie spähte in seine Richtung. »Und du? Ich dachte, Zentauren hätten keine.«
»Eigentlich sollten Zentauren keine haben«, erwiderte er. »Aber es ist anders gekommen. Meine Fähigkeit besteht darin, daß ich Dinge schwerelos machen kann, indem ich mit dem Schweif dagegen schlage; deswegen muß ich mich damit vorsehen. Ich kann es ausschalten, wenn ich das will, aber wenn ich es vergesse, kann das peinlich werden.«
»Oh, das klingt lustig!« rief Gwenny aus. »Kannst du auch mich schwerelos machen?«
»Sicherlich. Aber weshalb?«
»Ich stelle es mir spaßig vor, deshalb«, sagt sie. »Mutter läßt mich manchmal mit ihrem Zauberstab in die Höhe steigen, aber wenn ich auf andere Art schweben könnte, fände ich das toll.«
»Na gut. Stell dich in die Mitte des Raums.«
Gwenny ging zur Mitte. Sie hatten schon lange aufgehört, Che zu striegeln. Er stellte sich neben sie und schlug sie mit der Spitze seines Schweifs auf ihre Schulter.
»Oh, es klappt!« rief sie. »So hoch kann ich hüpfen!« Sie beugte ihr gesundes Bein zum Sprung.
»Tu das nicht!« schrie Jenny und griff nach ihr. Fast wäre es zu spät gewesen. Gwenny war schon mitten im Springen. Jenny packte ihren Arm, als sie emporstieg.
Es war gut, daß sie das tat, denn sonst wäre das Koboldmädchen mit dem Kopf voran gegen die Steindecke geprallt.
So schnellte ihr Körper empor und wurde gerade noch von Jennys Griff am Arm gestoppt. Die wirbelte herum, quietschend und mit den Füßen strampelnd, ehe es Jenny gelang, sie auf den Boden zurückzuzerren.
»Oh, hat das einen Spaß gemacht!« kreischte Gwenny.
»Spaß!« sagte Jenny streng. »Du hast dir beinahe den Kopf gestoßen!«
»Aber ich bin so leicht, daß es nicht weh getan hätte.«
»Nicht leicht genug«, sagte Che. »Deine Trägheit wirkt weiter.«
»Meine was?«
»Bleibt-wie-es-ist«, meinte Jenny, die sich erinnerte, was Godiva gesagt hatte.
»Mein Bleibt-wie-es-ist bleibt bestehen?« fragte Gwenny verwirrt.
»Nicht ganz«, erwiderte Che. »Trägheit kann in sozialem und in physikalischem Sinne gebraucht werden.
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