Mond-Elfe
ausruhen.«
»Ja.« Sie hoffte, daß das möglich war.
Für eine Weile waren sie still. Jenny konnte sich überhaupt nicht entspannen. Das Vorhandensein des Fleisches verfolgte sie, und sie konnte das Entsetzen auch nicht beiseite schieben.
»Jenny?« fragte Che zaghaft.
»Du kommst auch nicht zur Ruhe?« erkundigte sie sich. Die Antwort wußte sie schon.
»Vielleicht wenn du singen…«
Ein Schauer einer anderen Art von Unwohlsein ließ sie frösteln. Er hatte sie gehört ! Und sie hatte geglaubt, er hätte geschlafen. »Oh, das kann ich nicht tun«, protestierte sie und fühlte die Röte in ihrem Gesicht.
»Entschuldige, wenn ich dir zu nahe getreten bin«, sagte er.
Sie konnte nicht antworten, sie war immer noch verlegen.
Nach einiger Zeit hörte sie ein Schniefen und dann noch eins. Sie sah zu Che hinüber. Im Dämmerlicht erkannte sie, daß er mit den Händen sein Gesicht bedeckt hielt.
Dann merkte sie, daß er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten.
Sie erinnerte sich daran, daß er auf ziemlich gleiche Weise allein war wie sie. Er war entführt und roh behandelt worden.
Sie vergegenwärtigte sich, daß er nur fünf Jahre alt war. Er sprach zwar wie ein Erwachsener – das schien bei den Zentauren so zu sein –, aber er war doch nur ein Kind. Ein Fohlen.
Sie machte sich klar, daß sie beide einem fürchterlichen Schicksal entgegensahen. Das war schon schlimm genug, um ihren Geist abzustumpfen. Was mochte das alles erst in seinem Geist anrichten?
»Es tut mir leid, Che«, sagte sie sanft. »Ich singe nur für… für Tiere und Dinge.«
»Vielleicht wenn du mich als ein Tier…«, entgegnete er mit bedeckter Stimme.
»Oh, du bist kein…« Aber was war er dann, wenn kein Tier? Ein Freund in dieser schlimmen Zeit.
Er benötigte Trost. Konnte sie ihm verwehren, was sie doch ihrer Katze freizügig zukommen ließ?
»Vielleicht kann ich für dich singen«, meinte sie zweifelnd.
Sie versuchte es, unsicher was geschehen würde. Sie hatte niemals zuvor für jemanden gesungen, der die Bedeutung der Worte verstand. Sie war nicht sicher, ob es überhaupt möglich war. Blumen und Tiere waren unkritisch. Die dachten nicht, daß sie dumm wäre, falsch sänge oder sonst etwas. Sie versuchten auch nie zu kritisieren, daß es ihnen zu gewöhnlich klang. Sie akzeptierten es, wie es war, und so konnte sie selbst es auch tun. Che mochte ein Fohlen sein, aber er hatte ein Bewußtsein, das über das eines Tieres oder einer Blume hinausging. Und das würde wahrscheinlich stören. Bestimmt hatte er einen kritischen Verstand.
Kein Ton kam. Ihre Kehle war zugeschnürt, wollte nichts herauslassen. Sie konnte in dieser Art von Gesellschaft einfach nicht singen.
Aber, ein fünfjähriges Fohlen…
Sie versuchte es noch einmal, indem sie die Melodie nur hauchte. Nach einer Weile konnte sie summen, und dann – zuerst zaghaft – kam ihre Stimme, und sie sang wie vorher. Sie war wieder in der Phantasie von der Prinzessin, dem Schloß und dem Drachen, der aussah wie ein Prinz.
Draußen gab es ein Geräusch. Kam der Kobold zurück? Che wandte den Kopf. Er hörte es auch. Aber Jenny sang weiter und hoffte, daß der Kobold weitergehen würde ohne anzuhalten.
Das Geräusch wurde schwächer. Was immer es gewesen war, es entfernte sich. Jenny sang weiter, und ihr Bild von der Prinzessin wurde deutlicher und schöner. Es gab dort keine gemeinen Dinge, nur hübsche Blumen und schöne Tage. Die einzige dunkle Wolke, die sie sehen konnte, war klein und weit entfernt und sah dabei ein wenig bedrückt aus.
Aber dann passierte etwas Furchtbares, so als ob faulendes Fleisch in der Hütte aufgetaucht wäre. Der Drachen wollte die Prinzessin fressen! Er wollte, daß sie zu ihm kam, wenn er in seiner natürlichen Gestalt war, so daß er sie fressen konnte und zu einem König seiner Art wurde. Was konnte sie da tun?
Jenny sang, und die Worte kamen von selbst, entstanden im Einklang mit ihrer eigenen Phantasie. Es war fast so, als ob jemand ihr senden würde, so daß sie sich die Geschichte nicht selbst ausdachte, sondern sie empfing. Sie kam selbst irgendwie als die Prinzessin darin vor, und Che war ebenfalls als der Drachenprinz dort, waren doch beide geflügelte Ungeheuer. Trotz der Grauenhaftigkeit ihrer Situation wußte sie, daß der Drache die Prinzessin liebte. Er hatte zwar eine für ihren Geschmack komische Art, das zu zeigen, aber sie sah auch, daß die Liebe für seine Maßstäbe aufrichtig war. Drachen waren gewalttätige
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