Mond-Elfe
einmal, er schien sich tatsächlich davor zu fürchten. Das war merkwürdig, wenn man sein wahrscheinliches Schicksal bedachte.
»Warum waten sie nicht beide einfach hindurch auf die andere Seite?« fragte Jenny. »Dort stehen keine Kobolde, die aufpassen.«
»Das ist wirklich ein Rätsel.«
Die Nymphe, die zwischenzeitlich völlig ins Wasser eingetaucht war, tauchte wieder auf. Jetzt war ihr Körper sauber, und Jenny sah, daß Che recht hatte. Sie hatte keine Kleider an. Die Nymphe hatte eine sehr hübsche Figur für ein nacktes Mädchen.
Sie starrte den Faun an. Dann verwandelte sich ihr liebliches Gesicht in eine weniger liebliche Fratze. Sie schrie wieder auf, aber dieses Mal war es nicht nett, süß oder niedlich, es war blanker Haß. Sie stürmte aus dem Wasser und jagte den Faun.
Dieser drehte sich um und floh. Die Kobolde lachten unbändig. Sie fanden diese überraschende Umkehr offensichtlich sehr erheiternd. Es schien so, daß die Nymphe aus irgendeinem Grund auf den Faun wütend war und vergessen hatte, daß sie hätte freikommen können. Sie wollte ihn einfach schnappen.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Jenny. »Sie hätte durch den Teich gehen können. Warum ist sie zurückgekommen, und warum ist sie so wütend?«
»Ich glaube, ich verstehe jetzt«, entgegnete Che mit Schaudern. »Es gibt in Xanth Liebesquellen. Es ist also folgerichtig, davon auszugehen, daß es auch Haßquellen geben kann.«
»Du meinst, daß…?« Aber offensichtlich war es so. Die Nymphe war in dem Wasser des Hasses gewesen und haßte den Faun jetzt so sehr, daß sie sich um nichts anderes mehr kümmerte, außer ihm weh zu tun. Die beiden mußten es gewußt haben, weswegen sie nicht in das Wasser gehen wollten. Das war wirklich eine schreckliche Folter.
Der Faun rannte, aber jetzt verhielt es sich umgekehrt. Die Kobolde wollten ihn nicht durchlassen, und er mußte zurückspringen. Und als er das tat, verringerte die Nymphe den Abstand. Ihre zierlichen Finger waren zu Klauen gekrümmt, und sie entblößte ihre schönen Zähne mit einem häßlichen Knurren. Es gab keinen Zweifel, sie wollte ihn so schwer verletzen, wie sie nur konnte. Sie war unbändig.
Schließlich rannte der Faun zum Wasser hinunter und sprang hinein. Dann wurde auch er vom Haß verwandelt. Er wandte sich der Nymphe zu. Im nächsten Augenblick kämpften sie wild miteinander. Jeder versuchte, den anderen zu ertränken.
Jenny sah weg, ihr war übel. Sie war sich kaum bewußt, daß die Kobolde sie und Che in ihre Hütte trieben, in der zuvor die Nymphe und der Faun untergebracht waren. Sie hatte sich niemals vorgestellt, daß es solch gemeinen Wesen wie die Kobolde geben könnte.
Die Hütte war dunkel, bis auf ein kleines bißchen Licht, das von einem entfernten Feuer um die Türpfosten herum hereinleckte, und einen dünnen Strich Mondlicht, der durch eine runde Öffnung an der Dachspitze kam. Nach kurzer Zeit hatten sich Jennys Augen eingewöhnt, und sie konnte gut genug sehen. Bis auf sie beide war die Hütte leer. Es gab keine Möbel – nur den gestampften Boden, der nach Urin und übler roch.
Sie blieben gefesselt. Offensichtlich kümmerten sich die Kobolde nicht um ihr Wohlergehen. Es gab nichts anderes zu tun, als sich niederzulassen und sich so gut, wie sie konnten, auszuruhen. Che legte sich in der Mitte der Hütte nieder, da sein Körper nicht dafür geschaffen war, etwas anderes zu tun. Jenny ließ sich am Rande nieder und lehnte sich gegen die harte Lehmwand. Sie war hungrig, wußte aber, daß dies noch das geringste ihrer Probleme war. Sie konnte essen, nachdem sie gerettet war, und wenn sie nicht gerettet wurde, würde es kaum noch eine Rolle spielen, ob sie aß. Sie war müde, und dagegen konnte sie etwas tun, indem sie sich ausruhte und schlief.
Che lehnte seinen menschlichen Rumpf zurück gegen seinen Tierkörper, faltete die Flügel ein wenig auf und schloß die Augen. Er atmete gleichmäßig und sah ziemlich entspannt aus. Jenny beneidete ihn wegen dieser Fähigkeit. Sie war nicht in der Lage, sich zu entspannen, obwohl das sehr sinnvoll gewesen wäre. Ihre Gedanken waren zu sehr mit den Ereignissen des letzten Tages beschäftigt. Wie weit entfernt und wie lange her schien ihr normales Leben auf der Welt der Zwei Monde zu sein. Die Sache mit dem riesigen Einzelmond…
Sie schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich damit aufzuhalten. Wenn sie erst geflohen waren und sie Sammy zurück hatte und Che bei seiner Mutter in Sicherheit
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