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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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allem von diesem verrückten Energieausbruch ermutigt. Wozu auch immer das führen mochte, es konnte nicht schlechter sein als die düsteren Wochen, die wir nun hinter uns gebracht hatten. Effing eignete sich nicht für die Rolle des mißmutigen alten Mannes, und mir war es lieber, er wurde von seinem eigenen Enthusiasmus getötet, als in deprimiertem Schweigen weiterzuleben.
    Nach dem Frühstück wies er uns an, seine Sachen zu holen und ihn zum Ausgehen bereitzumachen. Er wurde in die übliche Ausstattung gesteckt - Decke, Schal, Mantel, Hut, Handschuhe -, und dann sagte er mir, ich solle den Schrank aufmachen und eine kleine karierte Reisetasche herausnehmen, die unter einem Haufen von Stiefeln und Überschuhen lag. «Was meinen Sie, Fogg?» fragte er. «Glauben Sie, die ist groß genug?»
    «Kommt ganz darauf an, was Sie damit vorhaben.»
    «Wir werden sie für das Geld brauchen. Zwanzigtausend Dollar in bar.»
    Bevor ich irgend etwas erwidern konnte, schaltete Mrs. Hume sich ein. «Sie werden nichts dergleichen tun», sagte sie. «Das lasse ich nicht zu. Ein Blinder, der mit zwanzigtausend Dollar in bar durch die Straßen zieht. Schlagen Sie sich diesen Unsinn mal gleich aus dem Kopf.»
    «Mund halten, alte Hexe», fauchte Effing. «Halten Sie den Mund, oder ich schlage Sie nieder. Es ist mein Geld, und ich tue damit, was ich will. Mein treuer Leibwächter wird mich zu meinem Schutz begleiten, mir wird nichts geschehen. Und wenn doch, ist es jedenfalls nicht Ihre Sache. Kapieren Sie das, Sie fette Kuh? Noch einen Ton, und Sie können Ihre Sachen packen.»
    «Sie tut nur ihren Job», versuchte ich Mrs. Hume gegen diese verrückte Attacke zu verteidigen. «Kein Grund zur Aufregung.»
    «Das gilt auch für Sie, Fatzke», brüllte er mich an. «Tun Sie, was Ihnen aufgetragen wird, oder mit Ihrem Job ist es vorbei. Eins, zwei, drei, aus. Versuchen Sie’s bloß, wenn Sie mir nicht glauben.»
    «Hol Sie der Geier», sagte Mrs. Hume. «Sie sind ein bekloppter alter Knacker, Thomas Effing. Hoffentlich verlieren Sie das Geld bis auf den letzten Dollar. Hoffentlich fliegt es Ihnen aus der Tasche, und Sie sehen es nie wieder.»
    «Ha!» sagte Effing. «Ha, ha, ha! Was denken Sie denn, was ich damit vorhabe, Sie Pferdegesicht? Es ausgeben? Glauben Sie etwa, Thomas Effing würde sich zu solchen Banalitäten herablassen? Ich habe große Pläne mit diesem Geld, phantastische Pläne, die sich noch kein Mensch je hat träumen lassen.»
    «Papperlapapp», sagte Mrs. Hume. «Von mir aus können Sie losziehen und eine Million Dollar ausgeben. Das läßt mich völlig kalt. Mit Ihnen und Ihren ganzen Faxen will ich nichts zu tun haben.»
    «Na, na», ließ Effing sich jetzt mit salbungsvollem Charme vernehmen. «Schmollen Sie doch nicht gleich, junge Frau.» Er nahm ihre Hand und drückte ihr mehrere Küsse auf den Arm, als sei es ihm wirklich ernst damit. «Fogg wird auf mich aufpassen.
    Er ist ein stämmiger Bursche, niemand wird uns etwas tun. Vertrauen Sie mir, ich habe die Operation bis in die Einzelheiten ausgearbeitet.»
    «Mich legen Sie nicht rein», sagte sie und entzog ihm verärgert ihre Hand. «Sie haben irgendeine Dummheit vor, das weiß ich. Vergessen Sie nicht, ich habe Sie gewarnt. Kommen Sie mir dann hinterher bloß nicht mit Entschuldigungen angekrochen. Dazu ist es zu spät. Einmal ein Narr, immer ein Narr. Das hat meine Mutter immer zu mir gesagt, und sie hatte recht.»
    «Wenn wir Zeit hätten, würde ich es Ihnen jetzt erklären», sagte Effing, «aber es geht nicht. Und außerdem werde ich mich unter all diesen Decken noch totschwitzen, wenn Fogg mich nicht bald hier rauskarrt.»
    «Also schwirren Sie ab», sagte Mrs. Hume. «Als ob mir das was ausmacht.»
    Effing grinste, richtete sich auf und wandte sich in meine Richtung. «Sind Sie bereit, Junge?» bellte er mich an wie ein Schiffskapitän.
    «Aber immer, wenn Sie bereit sind», erwiderte ich.
    «Gut. Dann los.»
    Zunächst gingen wir in die Chase Manhattan Bank am Broadway, wo Effing zwanzigtausend Dollar abhob. Wegen der Höhe des Betrags dauerte es fast eine Stunde, bis die Transaktion abgeschlossen war. Ein Vorstandsmitglied der Bank mußte seine Genehmigung erteilen, und dann dauerte es noch einmal einige Zeit, bis die Kassierer die erforderliche Anzahl von Fünfzig-Dollar-Scheinen aufgetrieben hatten, denn andere Scheine wollte Effing nicht annehmen. Er war langjähriger Kunde dieser Bank, «ein wichtiger Kunde», wie er den Manager mehrmals

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