Mond über Manhattan
erzählte. Offenbar waren sie einander mehrmals begegnet, und nachdem er die einzige Verbindung zwischen ihnen (Utah) erschöpft hatte, erging er sich in einem chaotischen, bruchstückhaften Bericht über die Zeit, die er selbst dort draußen verbracht hatte. Während des Krieges hatte er, wie er sagte, in Wendover seine Ausbildung zum Jagdflieger absolviert, wo er mitten in der Wüste Miniaturstädte aus Salz zerstören mußte. Er flog dann dreißig oder vierzig Einsätze über Deutschland, und bei Kriegsende wurde er zur Teilnahme am Atombombenprogramm nach Utah zurückgeschickt. «Wir sollten nicht wissen, worum es da ging», sagte er, «aber ich bin dahintergekommen. Wenn es irgendwo Informationen zu finden gibt, können Sie sich darauf verlassen, daß Charlie Bacon sie auch findet. Als erstes war Big Boy dran, die Bombe, die Colonel Tibbets und seine Leute auf Hiroshima geworfen haben. Ich war für den nächsten Flug drei Tage später eingeteilt, da sollte es nach Nagasaki gehen. Aber dazu konnten sie mich nicht zwingen. Zerstörung in diesem Ausmaß ist Gottes Sache. Der Mensch hat nicht das Recht, sich da einzumischen. Ich habe ihnen den Verrückten vorgespielt. Eines Nachmittags brach ich einfach auf und marschierte in die Wüste, in diese Hitze hinaus. Von mir aus hätten sie mich erschießen können. In Deutschland war es schon schlimm genug gewesen, aber ich wollte mich von denen nicht zum Werkzeug der Zerstörung machen lassen. No, Sir, da war ich lieber verrückt, als mir das auf die Seele zu laden. So wie ich das sehe, hätten sie’s nicht gemacht, wenn diese Japse Weiße wären. Aber Gelbe sind denen völlig schnuppe. Nichts für ungut», fügte er, sich an Kitty wendend, plötzlich hinzu, «aber für die sind Gelbe nicht besser als Hunde. Was glauben Sie, was wir jetzt drüben in Südostasien machen? Genau das gleiche, nämlich Gelbe töten, wo immer wir sie finden. Genau wie damals die Abschlachtung der Indianer. Heute haben wir Wasserstoffbomben statt Atombomben. In Utah, weit weg von allem, wo niemand sie sehen kann, bauen die Generäle immer noch neue Waffen. Erinnern Sie sich an das Schafsterben im letzten Jahr? Sechstausend. Da wurde irgendein neues Giftgas in die Luft geschossen, und meilenweit im Umkreis ist alles tot umgefallen. No, Sir, dazu bringt mich keiner, meine Hände mit Blut zu beflecken. Gelbe, Weiße, wo ist da der Unterschied? Wir sind doch alle gleich, wie? No, Sir, ihr werdet Charlie Bacon nicht dazu bringen, die Dreckarbeit für euch zu erledigen. Da bin ich lieber verrückt, als mit diesen Krachern rumzuhantieren.»
Sein Monolog wurde durch unsere Ankunft unterbrochen, und für den Rest des Tages zog Charlie sich in die Mysterien seines Transistorradios zurück. Die Bootsfahrt machte ihm allerdings Spaß, und auch ich war, ohne es zu wollen, guter Laune. Irgendwie ließ das Ungewöhnliche unserer Mission finstere Gedanken gar nicht erst aufkommen, und selbst Mrs. Hume gelang es, die Fahrt zu überstehen, ohne eine Träne zu vergießen. Vor allem aber erinnere ich mich, wie schön Kitty in ihrem winzigen Kleid aussah, wie der Wind ihr durch die langen schwarzen Haare wehte und wie ich ihre zarte kleine Hand in meiner hielt. Zu dieser Tageszeit war die Fähre nicht sehr voll, und bei uns auf dem Deck waren mehr Möwen als Passagiere. Als die Freiheitsstatue in Sicht kam, machte ich die Urne auf und schüttete die Asche in den Wind. Ein Gemisch aus weißen, grauen und schwarzen Partikeln, die binnen Sekunden verschwunden waren. Charlie stand rechts von mir, und links, den Arm um Mrs. Hume gelegt, stand Kitty. Wir verfolgten den kurzen, hektischen Flug der Asche, bis nichts mehr zu sehen war, und dann wandte sich Charlie zu seiner Schwester und sagte: «Das sollst du auch für mich tun, Rita. Wenn ich tot bin, sollst du mich verbrennen und in die Luft werfen. Ein herrlicher Anblick, so in alle Richtungen davonzutanzen, der herrlichste Anblick der Welt.»
Nachdem die Fähre in Staten Island angelegt hatte, machten wir kehrt und nahmen das nächste Boot in die Stadt zurück. Mrs. Hume hatte ein großes Essen für uns vorbereitet, und knapp eine Stunde nach unserer Rückkehr in die Wohnung setzten wir uns an den Tisch und begannen zu speisen. Jetzt war alles vorbei. Meine Tasche war gepackt, und nach Beendigung der Mahlzeit würde ich zum letztenmal Effings Haus verlassen. Mrs. Hume wollte noch so lange bleiben, bis der Nachlaß geregelt war, und wenn alles gutgehe, sagte sie (in
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