Mond über Manhattan
kaum drei Tage später bekam sie einen Job als Sekretärin bei einer Handelszeitschrift im McGraw-Hill-Gebäude an der Sixth Avenue. Über den Namen dieser Zeitschrift haben wir uns so oft lustig gemacht, daß ich ihn nicht vergessen habe, und noch heute muß ich lächeln, wenn ich daran denke: Plastik heute: Zeitschrift für Plastik in allen Lebensbereichen. Dort arbeitete Kitty täglich von neun bis fünf; für die Hin- und Rückfahrt benutzte sie wie Millionen andere Pendler in der Sommerhitze die U-Bahn. Es kann ihr nicht leichtgefallen sein, doch Kitty war nicht der Mensch, der sich über dergleichen beklagte. Abends machte sie zwei oder drei Stunden lang zu Hause ihre Tanzübungen, und am nächsten Morgen eilte sie wieder frisch und munter zu ihrer Arbeit ins Büro. In ihrer Abwesenheit kümmerte ich mich um den Haushalt, ging einkaufen und sorgte stets dafür, daß das Essen auf dem Tisch stand, wenn sie nach Hause kam. Es war das erste Mal, daß ich ein häusliches Leben führte, und ich nahm es als ganz natürlich hin, ohne groß darüber nachzudenken. Keiner von uns sprach von der Zukunft, doch ich glaube, irgendwann, vielleicht zwei oder drei Monate nach dem Beginn unseres Zusammenlebens, begannen wir beide zu vermuten, daß wir auf die Ehe zusteuerten.
Ich schickte Effings Nachruf an die Times, erhielt aber nie eine Antwort, nicht einmal eine Absage. Vielleicht war mein Brief verlorengegangen, vielleicht hielt man den Absender auch für einen Spinner. Der längere Artikel, den ich Effings Wunsch entsprechend der Zeitschrift Art World Monthly anbot, wurde abgelehnt, doch möchte ich meinen, daß man da nicht zu Unrecht mißtrauisch war. Wie der Herausgeber mir in seinem Brief erklärte, sei Julian Barber keinem einzigen seiner Mitarbeiter bekannt, und solange ich ihnen keine Dias von seinen Arbeiten zur Verfügung stellen würde, sei es ihnen zu riskant, den Artikel abzudrucken. «Ich weiß ja auch gar nicht, wer Sie sind, Mr. Fogg», hieß es in dem Brief weiter, «aber es kommt mir so vor, als hätten Sie sich da einen kunstvollen Schwindel ausgedacht. Womit nicht gesagt sein soll, daß Ihre Geschichte nicht spannend ist, aber ich glaube, Sie hätten mehr Aussicht, sie zu veröffentlichen, wenn Sie die Maske fallenließen und das Ganze irgendwo als literarisches Werk anbieten würden.»
Ich glaubte es Effing schuldig zu sein, mich wenigstens ein bißchen für seine Belange einzusetzen. Einen Tag nach Erhalt dieses Briefs von Art World Monthly ging ich in die Bibliothek und ließ mir den Nachruf auf Julian Barber aus dem Jahr 1917 fotokopieren, den ich dann dem Herausgeber mit einem kurzen Begleitschreiben zuschickte. «Zur Zeit seines Verschwindens war Barber ein junger und zugegebenermaßen unbekannter Künstler», schrieb ich, «aber auf jeden Fall hat es ihn gegeben. Ich nehme an, dieser Nachruf aus der New York Sun wird Ihnen beweisen, daß der Ihnen von mir zugesandte Artikel in guter Absicht verfaßt wurde.» Im späteren Verlauf der Woche bekam ich mit der Post eine Entschuldigung, die aber auch nur eine weitere Ablehnung einleitete. «Ich räume gern ein, daß es einmal einen amerikanischen Maler namens Julian Barber gegeben hat», schrieb der Herausgeber, «aber das beweist noch nicht, daß es sich bei Thomas Effing und Julian Barber um ein und dieselbe Person gehandelt hat. Und selbst wenn, können wir ohne irgendwelche Reproduktionen von Barbers Arbeiten unmöglich beurteilen, von welchem Rang er als Künstler gewesen ist. In Anbetracht seiner Unbekanntheit darf man wohl mit Fug und Recht davon ausgehen, daß wir es nicht mit einem bedeutenden Talent zu tun haben. Und somit wären wir schlecht beraten, wollten wir ihm in unserer Zeitschrift Platz widmen. Ich sagte in meinem letzten Brief, Sie hätten da für mein Gefühl den Stoff zu einem guten Roman. Das nehme ich jetzt zurück. Tatsächlich haben Sie einen psychopathologischen Fall, der, für sich betrachtet, interessant sein mag, aber nichts mit Kunst zu tun hat.»
Danach gab ich es auf. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich vermutlich irgendwo eine Reproduktion von einem der Bilder Julian Barbers aufspüren können, aber im Grunde wollte ich gar nicht wissen, wie seine Arbeiten aussahen. Nachdem ich Effing so viele Monate lang zugehört hatte, hatte ich mir allmählich ein eigenes Bild von seinen Gemälden gemacht, und jetzt wurde mir klar, daß ich mir diese schönen Produkte meiner Phantasie nicht kaputtmachen lassen wollte. Die
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