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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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möglichen Hinweise erbringen nichts, aber dann gerät er rein zufällig - alles in Barbers Buch geschieht durch Zufall - Jack Moon auf die Spur, und indem Kepler das Puzzle Stück für Stück zusammensetzt, wird ihm klar, daß sein Sohn ihm um dessentwillen weggenommen wurde, was er seinem Vater angetan hatte. Ihm bleibt keine Wahl, als nach Utah zurückzugehen. Kepler ist jetzt vierzig Jahre alt, und die Mühsal des Marsches durch die Wüste nimmt ihn sehr mit; dennoch setzt er seine Wanderung beharrlich fort, auch wenn er mit Entsetzen daran denkt, an den Ort zurückzukehren, wo er zwanzig Jahre zuvor seinen Vater getötet hat. Er weiß, er hat keine Wahl, dies ist der Ort, wo er seinen Sohn wiederfinden wird. Die letzte Szene findet im dramatischen Licht des Vollmondes statt. Kepler ist in Reichweite der Siedlung der Menschen gelangt und hat für die Nacht ein Lager in den Felsen aufgeschlagen; mit einem Gewehr in den Händen hält er nach Zeichen von Leben Ausschau. Auf einem benachbarten Felsvorsprung, keine zwanzig Meter entfernt, sieht er plötzlich vor dem Mond die Silhouette eines Kojoten stehen. Da ihm in dieser abgelegenen und öden Gegend alles Angst einjagt, legt Kepler gedankenlos an und drückt auf den Abzug. Der Kojote fällt beim ersten Schuß, und Kepler gratuliert sich zu seiner Treffsicherheit. Wobei er natürlich nicht wissen kann, daß er soeben seinen Sohn getötet hat. Ehe er aufstehen und zu dem erlegten Tier hinübergehen kann, wird er von drei anderen Kojoten aus der Dunkelheit angesprungen. Unfähig, sich gegen ihren Angriff zu verteidigen, wird er in wenigen Minuten in Stücke gerissen und aufgefressen.
    Und damit endet Keplers Blut, Barbers einziger Versuch einer literarischen Arbeit. In Anbetracht des Alters, in dem er es schrieb, wäre es unfair, wollte man das Buch allzu streng beurteilen. Trotz aller Mängel und Übertreibungen ist dieses Werk als psychologisches Dokument für mich von Wert, denn es läßt deutlicher als alles andere erkennen, wie Barber die inneren Dramen seiner Jugend verarbeitet hat. Er will nicht akzeptieren, daß sein Vater tot ist (daher Keplers Rettung durch Die Menschen); aber wenn sein Vater nicht tot ist, dann gibt es keine Entschuldigung dafür, daß er nicht zu seiner Familie zurückgekehrt ist (daher das Messer, das Kepler junior seinem Vater ins Herz stößt). Doch der Gedanke an diesen Mord ist zu entsetzlich, um nicht Abscheu zu erwecken. Wer einen solchen Gedanken hat, muß bestraft werden, und genau das widerfährt Kepler junior, den ein schlimmeres Schicksal ereilt als alle anderen Figuren des Buches. Die ganze Erzählung ist ein kompliziertes Hin und Her zwischen Schuldgefühlen und Verlangen. Verlangen verwandelt sich in Schuld und wird dann, da diese Schuld unerträglich ist, zu einem Verlangen, Buße zu tun, sich einer grausamen und unerbittlichen Art von Gerechtigkeit zu unterwerfen. Es war wohl kein Zufall, daß Barber seine spätere wissenschaftliche Laufbahn der Erforschung vieler der Themen widmete, die bereits in Keplers Blut angeklungen waren. Die verschwundenen Siedler von Roanoke, die Berichte von Weißen, die unter Indianern lebten, die Mythologie des amerikanischen Westens - Themen, mit denen Barber sich als Historiker befaßte, und so gewissenhaft und professionell er dabei auch vorgegangen sein mag, es steckte doch immer ein persönliches Motiv hinter seiner Arbeit, die heimliche Überzeugung, damit irgendwie den Rätseln seines Lebens auf den Grund kommen zu können.
    Im Frühjahr 1939 hatte Barber eine allerletzte Gelegenheit, etwas mehr über seinen Vater zu erfahren, doch kam nichts dabei heraus. Er befand sich im vorletzten Studienjahr an der Columbia, und irgendwann Mitte Mai, genau eine Woche nach seinem hypothetischen Zusammentreffen mit Onkel Victor auf der Weltausstellung, wurde ihm von Tante Clara telefonisch mitgeteilt, daß seine Mutter im Schlaf gestorben sei. Er nahm den Morgenzug nach Long Island und überstand dann die diversen Qualen, die ihr Tod mit sich brachte: die Begräbnisvorbereitungen, die Testamentseröffnung, die Tortur der Gespräche mit Anwälten und Steuerberatern. Er bezahlte die Rechnungen des Heinis, in dem sie während der letzten sechs Monate gelebt hatte, unterschrieb Papiere und Formulare, wobei er immer wieder, ohne es zu wollen, schluchzen mußte. Nach dem Begräbnis kehrte er in das große Haus zurück, um dort die Nacht zu verbringen; ihm war klar, daß dies vermutlich die letzte Nacht

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