Mond über Manhattan
danach werde ich nie wieder dieses Haus betreten.»
Tante Clara legte eine rote Sechs auf eine schwarze Sieben, suchte den Tisch nach einer Stelle ab, wo sie eine schwarze Dame ablegen könnte, seufzte enttäuscht und sah dann Barber an. «Ach, Sol», sagte sie. «Mach doch kein Drama draus.»
«Ich mache kein Drama draus. Es ist nur so, daß wir uns heute wahrscheinlich zum letztenmal sehen.»
Tante Clara begriff noch immer nicht. «Ich weiß, es ist traurig, seine Mutter zu verlieren», sagte sie. «Aber du darfst das nicht so schwer nehmen. Es ist doch wirklich ein Segen, daß Elizabeth heimgegangen ist. Ihr Leben war eine einzige Qual, und jetzt hat sie endlich Frieden gefunden.» Tante Clara hielt einen Moment inne, während sie nach dem richtigen Wort suchte. «Du darfst dir keine törichten Ideen in den Kopf setzen.»
«Es geht nicht um meinen Kopf, Tante Clara, sondern um das Haus. Ich glaube, ich könnte es nicht mehr ertragen, noch einmal hierherzukommen.»
«Aber es ist jetzt dein Haus. Es gehört dir. Alles, was darin ist, gehört dir.»
«Was nicht heißt, daß ich es behalten muß. Ich kann es mir jederzeit vom Hals schaffen.»
«Aber Solly... gestern hast du gesagt, du würdest das Haus nicht verkaufen. Du hast es versprochen.»
«Ich werde es nicht verkaufen. Aber nichts hindert mich daran, es zu verschenken. Oder?»
«Das läuft auf dasselbe hinaus. Auch dann würde es jemand anderem gehören, und ich würde irgendwohin abgeschoben, wo ich in einem Raum voller alter Frauen sterben müßte.»
«Nicht, wenn ich das Haus dir schenke. Dann könntest du hierbleiben.»
«Hör auf mit dem Unsinn. Ich werde noch einen Herzanfall kriegen, wenn du so weiterredest.»
«Ich überschreibe dir das Haus gern. Ich kann noch heute zum Anwalt gehen und die Sache in die Wege leiten.»
«Aber Solly.»
«Einige der Bilder werde ich wahrscheinlich mitnehmen, aber alles andere kann hier bei dir bleiben.»
«Es ist nicht recht. Ich weiß nicht warum, aber es ist nicht recht von dir, so zu reden.»
«Nur eins mußt du für mich tun», überging er ihre Bemerkung. «Ich möchte, daß du ein korrektes Testament aufsetzt, und in diesem Testament sollst du das Haus Hattie Newcombe vermachen.»
« Unserer Hattie Newcombe?»
«Ja, unserer Hattie Newcombe.»
«Aber Sol, hältst du das für richtig? Ich meine, Hattie. Hattie, weißt du, Hattie ist.»
«Ist was, Tante Clara?»
«Eine Farbige. Hattie ist eine Farbige.»
«Wenn Hattie nichts dagegen hat, wüßte ich nicht, was dich daran stören sollte.»
«Aber was werden die Leute sagen? Cliff House, von einer Farbigen bewohnt. Du weißt so gut wie ich, daß die Farbigen in dieser Stadt allesamt Dienstboten sind.»
«Das ändert nichts an der Tatsache, daß Hattie deine beste Freundin ist. Soweit ich sehe, ist sie sogar deine einzige Freundin. Und was geht es uns an, was die Leute sagen? Es gibt nichts Wichtigeres in dieser Welt, als gut zu seinen Freunden zu sein.»
Als Tante Clara aufging, daß ihr Neffe es ernst meinte, begann sie zu kichern. Seine Worte hatten ein ganzes Gedankengebäude zum Einsturz gebracht, und die Vorstellung, daß so etwas möglich sei, ließ sie wonnig erschaudern. «Das einzig Dumme dabei ist, daß ich sterben muß, bevor Hattie das Haus übernimmt», sagte sie. «Ich wünschte, ich könnte das mit eigenen Augen miterleben.»
«Das wirst du, wenn der Himmel das ist, was man von ihm sagt.»
«Trotzdem werde ich beim besten Willen nie begreifen, warum du das tust.»
«Du brauchst es nicht zu begreifen. Ich habe meine Gründe, aber darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Ich möchte nur noch ein paar Dinge mit dir besprechen, und dann können wir die Angelegenheit als erledigt betrachten.»
«Was für Dinge?»
«Alte Dinge. Aus der Vergangenheit.»
«Das Galileo Theatre?»
«Nein, heute nicht. Ich dachte an anderes.»
«Oh», unterbrach sich Tante Clara, vorübergehend verwirrt. «Aber du hast mir doch immer gern zugehört, wenn ich von Rudolfo erzählt habe. Wie er mich in den Sarg gelegt und zersägt hat. Das war eine gute Nummer, die beste in der ganzen Show. Weißt du noch?»
«Natürlich weiß ich das noch. Aber darüber möchte ich jetzt nicht mit dir reden.»
«Wie du willst. Schließlich gibt es viele alte Dinge, besonders wenn man in meinem Alter ist.»
«Ich dachte an meinen Vater.»
«Ah, dein Vater. Ja, das ist auch schon lange her. Wahrhaftig. Nicht so lange wie manches andere, aber lange genug.»
«Ich
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