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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Dutzend Kisten, die Autogrammsammlung und die Klarinette. Zu meiner Unterhaltung setzte ich das Instrument bisweilen zusammen und blies hinein, erfüllte die Wohnung mit unheimlichen Klangkaskaden, einem wilden Quietschen und Stöhnen, Lachen und klagendem Knurren. Im März verkaufte ich die Autogramme an einen Sammler namens Milo Flax, einen seltsamen kleinen Mann mit lockigblondem Haarkranz, der auf den letzten Seiten der Sporting News annonciert hatte. Der Anblick der Kollektion von Club-Unterschriften machte Flax sprachlos. Ehrfürchtig studierte er die Blätter, sah mich mit Tränen in den Augen an und machte die kühne Voraussage, die Cubs würden 1969 die Meisterschaft gewinnen. Beinahe behielt er ja recht, und wenn sie am Ende der Saison nicht eingebrochen wären und die abgewrackten Mets nicht gleichzeitig ihren plötzlichen Höhenflug angetreten hätten, wäre es bestimmt so gekommen. Die Autogramme brachten hundertfünfzig Dollar, mehr als eine ganze Monatsmiete. Die Bücher versorgten mich mit Essen, und so gelang es mir, mich den April und Mai hindurch über Wasser zu halten; bei flackerndem Kerzenlicht beendete ich meine Seminararbeit, paukte und tippte, bis ich für sechsundzwanzig Dollar meine Schreibmaschine verkaufte, was mich in die Lage versetzte, mir Mütze und Talar auszuleihen und an der Gegenveranstaltung zur Examensfeier teilzunehmen, die von den Studenten aus Protest gegen die offiziellen Feierlichkeiten der Universität organisiert worden war.
    Ich hatte getan, was ich mir vorgenommen hatte, doch sollte ich meinen Triumph nicht genießen können. Ich war bei meinen letzten hundert Dollar angelangt, und der Büchervorrat war auf drei Kisten geschrumpft. Ans Bezahlen der Miete war gar nicht mehr zu denken; die Kaution garantierte mir zwar noch einen weiteren Monat, aber danach würde man mich zur Räumung zwingen. Falls im Juli die ersten Mahnungen kämen, würde es im August hart auf hart gehen, und im September säße ich auf der Straße. Vom sicheren 1. Juni aus betrachtet aber war das Ende des Sommers noch Lichtjahre entfernt. Das Problem bestand nicht so sehr darin, was danach zu tun wäre, sondern überhaupt erst mal dorthin zu gelangen. Die Bücher würden etwa fünfzig Dollar einbringen. Zusammen mit den sechsundneunzig, die ich noch hatte, wären das hundertsechsundvierzig für die nächsten drei Monate. Das schien kaum zu reichen, aber ich glaubte, wenn ich mich auf eine Mahlzeit pro Tag beschränkte und auf Zeitungen, Busse und sonstige leichtfertige Ausgaben verzichtete, könnte ich es schaffen. So begann der Sommer 1969. Ich war mir ziemlich sicher, daß es mein letzter Sommer auf Erden sein würde.
    Während des Winters und der ersten Frühlingstage hatte ich mein Essen auf dem äußeren Sims eines meiner Wohnungsfenster gelagert. Einiges war in den kältesten Monaten steinhart gefroren (Butterpäckchen, Becher mit Hüttenkäse), aber nach dem Auftauen war alles noch eßbar. Das eigentliche Problem hatte darin bestanden, die Sachen vor Ruß und Taubendreck zu schützen, aber bald fand ich die Lösung und wickelte meine Vorräte in eine Plastikeinkaufstüte, bevor ich sie nach draußen tat. Dann wurde eine der Tüten bei einem Sturm vom Sims geweht, und von da an befestigte ich sie mit einer Schnur am Heizkörper in meinem Zimmer. Ich lernte recht gut mit diesem System umzugehen, und da zum Glück das Gas in der Miete Inbegriffen war (so daß ich mir also keine Sorgen machen mußte, den Herd zu verlieren), schien die Ernährungsfrage so ziemlich gelöst. Freilich nur in der kalten Jahreszeit. Inzwischen hatte sich die Lage geändert; nun, da die Sonne täglich dreizehn bis vierzehn Stunden lang am Himmel stand, tat der Sims mehr Schaden als Nutzen. Die Milch wurde flockig; der Saft begann zu stinken; die Butter zerschmolz zu gelbglänzenden schleimigen Lachen. Ich machte etliche solcher Katastrophen durch, bis ich merkte, daß ich alle wärmeempfindlichen Waren meiden mußte, und meine Ernährung umzustellen begann. Am 12. Juni setzte ich mich hin und arbeitete meinen neuen Speiseplan aus. Milchpulver, Instantkaffee, kleine Päckchen Brot - mein Hauptnahrungsmittel - und ansonsten Tag für Tag dasselbe: Eier, das billigste, nahrhafteste Essen der Menschheit. Ab und zu wollte ich mir einen Apfel oder eine Orange leisten, und wenn mich der Heißhunger einmal überwältigen sollte, würde ich mir einen Hamburger oder eine Eintopfkonserve spendieren. All das würde nicht verderben,

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