Mond über Manhattan
Broadway entlang zurückging, entschloß ich mich zu einem Besuch in Quinn’s Bar and Grill, einem kleinen Lokal an der Südostecke der Kreuzung mit der 108th Street. Es war außerordentlich heiß an diesem Tag, und ein paar Bier zu zehn Cent glaubte ich mir ohne weiteres leisten zu können. Ich saß neben drei oder vier Stammkunden auf einem Barhocker und genoß das gedämpfte Licht und die Kühle der Klimaanlage. Der große Farbfernseher war an, glomm unheimlich über den Rye- und Bourbonflaschen, und so wurde ich zufällig Zeuge dieses Ereignisses. Ich sah die zwei gepolsterten Gestalten in dieser luftlosen Welt ihre ersten Schritte machen, wie Spielzeuge über die Landschaft springen, ins Auge dessen, was einmal die Göttin der Liebe und des Wahnsinns gewesen war, eine Flagge stecken. Strahlende Diana, dachte ich, Inbild all dessen, was dunkel in uns ist. Dann sprach der Präsident. Mit feierlicher, unbewegter Stimme erklärte er dies für das größte Ereignis seit der Erschaffung des Menschen. Die Alten an der Bar lachten, als sie das hörten, und ich glaube, auch mir gelang so etwas wie ein Lächeln. Doch bei aller Absurdität dieser Behauptung war eins von niemandem zu bezweifeln: Seit dem Tag seiner Vertreibung aus dem Paradies war Adam noch nie so weit von zu Hause fort gewesen.
Danach lebte ich für kurze Zeit in einem Zustand fast vollkommener Ruhe. Meine Wohnung war jetzt leer, doch anstatt mich, wie ich zuvor geglaubt hatte, zu entmutigen, schien ihre Kahlheit mir Trost zu spenden. Ich weiß kaum, wie ich das erklären soll, aber ganz plötzlich beruhigten sich meine Nerven, und in den nächsten drei oder vier Tagen begann ich mich fast wieder selbst zu erkennen. Es ist sonderbar, ein solches Wort in diesem Zusammenhang zu gebrauchen, doch in jener kurzen Zeitspanne nach dem Verkauf von Onkel Victors letzten Büchern war ich, ich wage es zu sagen, glücklich. Wie ein Epileptiker kurz vor einem Anfall war ich in jene seltsame Halbwelt geraten, in der alles zu leuchten, eine neue, erstaunliche Klarheit auszustrahlen beginnt. Ich tat nicht viel in diesen Tagen. Ich ging in meinem Zimmer umher, lag auf meiner Matratze, schrieb meine Gedanken in ein Notizbuch. Es zählte nicht. Nicht einmal der Akt des Nichtstuns schien mir wichtig; es machte mir keine Gewissensbisse, die Stunden müßig verstreichen zu lassen. Ab und zu stellte ich mich zwischen die beiden Fenster und betrachtete die Reklame des Moon Palace. Auch das war unterhaltsam und schien jedesmal eine Reihe interessanter Gedanken hervorzurufen. Heute sind mir diese Gedanken ein wenig unklar - wilde Assoziationsknäuel, ausufernd kreisende Tagträume -, doch damals hielt ich sie für ungeheuer bedeutungsvoll. Vielleicht hatte das Wort Mond für mich eine andere Bedeutung bekommen, nachdem ich Menschen auf seiner Oberfläche hatte umherwandern sehen. Vielleicht hatte mich der Zufall beeindruckt, erst in Boise, Idaho, einen Mann namens Neil Armstrong kennenzulernen und dann einen Mann gleichen Namens in den Weltraum fliegen zu sehen. Vielleicht delirierte ich einfach vor Hunger, und das Leuchten der Reklame hatte mich gelähmt. Ich bin mir durchaus nicht sicher, aber Tatsache war, daß die Worte Moon Palace mich mit der ganzen Rätselhaftigkeit und Faszination eines Orakels zu verfolgen begannen. Alles kam jäh darin zusammen: Onkel Victor und China, Raketenschiffe und Musik, Marco Polo und der amerikanische Westen. Ich sah auf jene Schrift hinaus und dachte etwa an Elektrizität. Das brachte mich auf den New Yorker Stromausfall in meinem ersten Studienjahr, der mich wiederum auf die Baseballspiele im Wrigley Field brachte, was mich dann wieder zu Onkel Victor und den Gedenkkerzen auf meinem Fensterbrett zurückführte. Fortwährend wich ein Gedanke dem nächsten, und all das verwirbelte zu immer größeren Massen von Zusammenhängen. Die Idee einer Reise ins Unbekannte zum Beispiel und die Parallelen zwischen Kolumbus und den Astronauten. Die Entdeckung Amerikas als gescheiterter Versuch, China zu erreichen; chinesisches Essen und mein leerer Magen; Gedanken, wie in Gedankennahrung, und der Kopf als Palast der Träume. Ich dachte: das Apollo-Projekt; Apollo, der Gott der Musik; Onkel Victor und die Moon Men auf Tour in den Westen. Ich dachte: der Westen; der Krieg gegen die Indianer; der Krieg in Vietnam, vormals Indochina. Ich dachte: Waffen, Bomben, Explosionen; nukleare Wolken in den Wüsten von Utah und Nevada; und dann fragte ich mich: warum
Weitere Kostenlose Bücher