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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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zuwenden. Aber es kam ganz anders. Er fing einfach an zu reden, stürzte uns beide mitten in die Geschichte.
    «Die Idee kam von Ralph», sagte er, «aber dazu gebracht hat mich Moran. Der alte Thomas Moran mit seinem weißen Bart und dem Strohhut. Er lebte damals draußen am Ende der Insel und malte kleine Aquarelle vom Sund. Dünen und Gras, Wellen und Licht, all dieses bukolische Zeug. Heute ziehen viele Maler da raus, aber er war der erste, er hat damit angefangen. Deswegen nannte ich mich Thomas, als ich meinen Namen änderte. Das mit dem Effing war etwas anderes, da habe ich lange drüber nachdenken müssen. Vielleicht kommen Sie selbst dahinter. Es ist ein Wortspiel.
    Ich war damals noch ein junger Bursche. Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre alt, nicht mal verheiratet. Ich hatte das Haus an der 12th Street in New York, verbrachte aber die meiste Zeit auf der Insel. Es gefiel mir dort, dort malte ich meine Bilder und träumte meine Träume. Das Haus ist jetzt weg, aber was soll man anderes erwarten? Es ist lange her, und die Welt nimmt ihren Lauf, wie man so sagt. Fortschritt. Jetzt sind die Bungalows und Reihenhäuser an der Macht, jeder Kaffer fährt seinen eigenen Wagen. Halleluja.
    Der Ort hieß Shoreham. Tut er heute noch, soweit ich weiß. Schreiben Sie das mit? Ich werde all das nur einmal sagen, und wenn Sie es nicht mitschreiben, wird es für immer verloren sein. Denken Sie daran, Junge. Wenn Sie nicht Ihre Arbeit machen, bringe ich Sie um. Ich erwürge Sie mit diesen meinen Händen.
    Der Ort hieß Shoreham. Wie der Zufall es wollte, baute Tesla dort seinen Wardenclyffe Tower. Ich rede von neunzehnhunderteins, neunzehnhundertzwei, dem World Wireless System. Sie haben vermutlich nie davon gehört. Geldgeber war J.P. Morgan, und Stanford White entwarf die architektonischen Pläne. Wir haben gestern von ihm gesprochen. Er wurde auf dem Dach des Madison Square Garden erschossen, und danach wurde nichts mehr aus dem Projekt. Aber die Reste des Dings blieben noch fünfzehn oder sechzehn Jahre dort stehen, siebzig Meter hoch, man konnte es von überallher sehen. Gigantisch. Ragte wie ein künstlicher Wächter über das Land. Ich stellte ihn mir immer als den Turm von Babel vor: Radiosendungen in allen Sprachen, die ganze Scheißwelt quasselt miteinander, und das genau an dem Ort, n dem ich wohnte. Im Ersten Weltkrieg wurde das Ding schließlich abgerissen. Angeblich wurde es von den Deutschen als Spionagestation benutzt, also weg damit. Ich lebte inzwischen sowieso woanders, mir konnte es egal sein. Nicht daß ich deswegen eine Träne vergossen hätte, wenn ich noch dagewesen wäre. Von mir aus kann alles zusammenfallen. Soll doch alles zusammenfallen und verschwinden, und zwar für immer.
    Zum erstenmal habe ich Tesla 1893 gesehen. Da war ich noch ein Junge, aber ich erinnere mich noch gut daran. Es war das Jahr der Kolumbus-Ausstellung in Chicago, und mein Vater nahm mich mit dem Zug dorthin mit, es war das erste Mal, daß ich so weit weg von zu Hause gewesen war. Damit sollte der vierhundertste Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus gefeiert werden. Man wollte sämtliche Geräte und Erfindungen vorstellen und der Welt zeigen, was für schlaue Wissenschaftler wir haben. Es kamen fünfundzwanzig Millionen Besucher, es war, als ob man zum Zirkus ginge. Man zeigte dort den ersten Reißverschluß, das erste Riesenrad, sämtliche Wunder des neuen Zeitalters. Tesla leitete die Westinghouse Ausstellung, das sogenannte Ei des Kolumbus, und ich weiß noch, wie ich in das Theater reinging und diesen großen Mann im weißen Smoking dort auf der Bühne stehen sah; er sprach mit einem eigenartigen Akzent zu dem Publikum - serbisch, wie sich herausstellte -, und mit einer so schwermütigen Stimme, wie man sie nur einmal im Leben zu hören bekommt. Er führte elektrische Zaubertricks vor, ließ kleine Metalleier auf dem Tisch herumkreisen und Funken aus seinen Fingerspitzen sprühen, und alle, mich eingeschlossen, staunten ihn atemlos an, so was hatten wir noch nie gesehen. Es war die Zeit der Allstrom-Kriege zwischen Edison und Westinghouse, und Teslas Show hatte einen gewissen Propagandawert. Etwa zehn Jahre zuvor hatte Tesla den Wechselstrom entdeckt - das umlaufende Magnetfeld -, und das war ein großer Fortschritt gegenüber dem Gleichstrom, den Edison benutzt hatte. Wesentlich wirkungsvoller. Gleichstrom machte alle ein bis zwei Meilen ein Kraftwerk erforderlich, mit Wechselstrom reichte ein einziges

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