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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Kraftwerk für eine ganze Stadt aus. Als Tesla nach Amerika kam, versuchte er Edison seine Idee zu verkaufen, aber das Arschloch in Menlo Park hat ihn abgewiesen. Glaubte, dann war’s mit seiner Glühbirne aus. Da haben wir’s wieder, die gottverdammte Glühbirne. Also verkaufte Tesla seinen Wechselstrom an Westinghouse, und dann bauten sie das Kraftwerk an den Niagarafällen, das größte Kraftwerk im ganzen Land. Edison ging zum Angriff über. Wechselstrom sei zu gefährlich, sagte er, sei tödlich, wenn man sich ihm nähere. Um seine Behauptung zu beweisen, schickte er seine Leute durchs Land und ließ sie auf Jahrmärkten Vorführungen machen. Eine habe ich als kleiner Knirps noch selbst gesehen, ich hab mir in die Hose gepinkelt dabei. Sie brachten Tiere auf die Bühne und töteten sie durch Stromstöße. Hunde, Schweine, sogar Kühe. Direkt vor unseren Augen. So wurde der elektrische Stuhl erfunden. Edison hat sich das ausgedacht, um die Gefährlichkeit des Wechselstroms zu beweisen, und dann hat er es an Sing-Sing verkauft, wo es bis auf den heutigen Tag benutzt wird. Ist das nicht reizend? Wenn die Welt nicht so schön wäre, könnten wir alle zu Zynikern werden.
    Das Ei des Kolumbus hat dieser ganzen Kontroverse ein Ende gemacht. Zu viele Leute sahen Tesla, und dann hatten sie keine Angst mehr. Natürlich war der Mann verrückt, aber wenigstens ging es ihm dabei nicht ums Geld. Als Westinghouse einige Jahre später in finanzielle Schwierigkeiten geriet, zerriß Tesla aus reiner Freundschaft den Vertrag über die Lizenzgebühren, den er mit ihm gemacht hatte. War zig Millionen Dollar wert. Riß ihn einfach in Stücke und wandte sich einem neuen Projekt zu. Versteht sich von selbst, daß er bei seinem Tod pleite war.
    Nachdem ich ihn einmal gesehen hatte, begann ich seinen Weg durch die Zeitungen zu verfolgen. Die schrieben damals unaufhörlich von ihm, berichteten über seine neuen Erfindungen, zitierten die Absonderlichkeiten, die er jedem erzählte, der ihm zuhörte. Er zog immer. Ein zeitloser Dämon, der allein im Waldorf lebte: Er hatte eine krankhafte Angst vor Bazillen, war von allen möglichen Phobien wie gelähmt und bekam zuweilen Anfälle von Überempfindlichkeit, die ihn schier in den Wahnsinn trieben. Dann wurde das Summen einer Fliege im Nebenzimmer für ihn zum Dröhnen eines Flugzeuggeschwaders. Wenn er unter einer Brücke herging, hatte er das Gefühl, sie lege sich drückend auf seinen Schädel, sie wolle ihn zermalmen. Sein Labor befand sich in Lower Manhattan, ich glaube am West Broadway, Ecke West Broadway und Grand.
    Weiß Gott, was er dort nicht alles erfunden hat. Radioröhren, Fernlenktorpedos, einen Plan für drahtlose Stromübertragung. Ja, wirklich: drahtlos. Ein Metallstab im Boden sollte die Energie direkt aus der Luft saugen. Einmal behauptete er, er habe ein Schallwellengerät gebaut, das die Schwingungen der Erde auf einen winzigen, konzentrierten Punkt zusammenleiten würde. Er drückte es an die Mauer eines Hauses am Broadway, und binnen fünf Minuten begann das ganze Gebäude zu zittern; wenn er nicht aufgehört hätte, wäre es eingestürzt. Ich las dieses Zeug als Junge sehr gern, ich hatte den Kopf voll davon. Die Leute stellten alle möglichen Spekulationen über Tesla an. Er glich einem Propheten des kommenden Zeitalters, und niemand konnte sich seinem Bann entziehen. Die totale Eroberung der Natur! Eine Welt, in der alle Träume erfüllbar waren! Der haarsträubendste Unsinn kam von einem gewissen Julian Hawthorne, das war zufällig der Sohn von Nathaniel Hawthorne, dem großen amerikanischen Schriftsteller. Julian. Das war auch mein Name, falls Sie sich noch erinnern, und so verfolgte ich die Arbeiten des jüngeren Hawthorne mit einem gewissen persönlichen Interesse. Er war ein populärer Tagesschriftsteller, ein richtiger Vielschreiber, der so schlecht schrieb, wie sein Vater gut schrieb. Ein erbärmlicher Mensch. Man stelle sich vor, mit Melville und Emerson aufzuwachsen, und dann so was zu werden. Er schrieb über fünfzig Bücher, Hunderte von Zeitschriftenartikeln, alles Schrott. Einmal landete er sogar im Gefängnis; Aktienschwindel, Steuerbetrug, ich weiß nicht mehr genau. Jedenfalls war dieser Julian Hawthorne mit Tesla befreundet. 1899 oder 1900 ging Tesla nach Colorado Springs und baute dort ein Labor in den Bergen, um die Wirkungen des Kugelblitzes zu untersuchen. Einmal arbeitete er bis spät in die Nacht hinein und vergaß, den Empfänger

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