Mond über Manhattan
auszustellen. Plötzlich kamen seltsame Geräusche aus dem Apparat. Statische Entladungen, Radiosignale, wer weiß das schon. Als Tesla tags darauf Reportern davon erzählte, behauptete er, damit sei die Existenz intelligenten Lebens im Weltraum bewiesen, die Marsmenschen hätten mit ihm gesprochen. Ob Sie’s glauben oder nicht, niemand hat darüber gelacht. Lord Kelvin persönlich gab auf irgendeinem Bankett sternhagelvoll die Erklärung ab, es handle sich um einen der größten wissenschaftlichen Durchbrüche aller Zeiten. Kurze Zeit später schrieb Julian Hawthorne in einer der überregionalen Zeitschriften einen Artikel über Tesla. Teslas Verstand sei so weit fortentwickelt, schrieb er da, daß er unmöglich ein Mensch sein könne. Er stamme von einem anderen Planeten - von der Venus, wenn ich nicht irre - und sei mit einem Spezialauftrag auf die Erde geschickt worden: Er solle uns die Geheimnisse der Natur lehren, der Menschheit die Wege Gottes offenbaren. Auch hier sollte man meinen, daß die Leute gelacht hätten, aber das war ganz und gar nicht der Fall. Sehr viele nahmen das ernst, und selbst heute, sechzig, siebzig Jahre danach, glauben noch Tausende daran. In Kalifornien gibt es eine Sekte, die Tesla als Außerirdischen verehrt. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie’s ruhig nachlesen, ich habe Literatur darüber im Haus. Pavel Shum hat mir an Regentagen öfter daraus vorgelesen. Zum Schreien. Bringt einen so zum Lachen, daß einem schier der Bauch platzen könnte.
Ich erzähle Ihnen das alles, um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie ich damals empfunden habe. Tesla war nicht einfach irgendwer, und als er nach Shoreham kam, um seinen Turm zu bauen, konnte ich mein Glück kaum fassen. Da kam der große Mann persönlich nun jede Woche in meine kleine Stadt. Oft sah ich ihn aus dem Zug steigen, glaubte vielleicht etwas lernen zu können, wenn ich ihn beobachtete, wähnte, seine Nähe könnte mich mit seinem Ingenium anstecken - als sei das eine Krankheit, die man sich einfangen konnte. Ich brachte nie den Mut auf, ihn anzusprechen, aber das spielte keine Rolle. Mich inspirierte schon die Gewißheit, daß er da war, daß ich, wann immer ich wollte, einen Blick auf ihn erhaschen konnte. Einmal begegneten sich unsere Blicke, ich erinnere mich gut daran, es war sehr wichtig, unsere Blicke begegneten sich, und ich spürte, wie er durch mich hindurchsah, als ob ich gar nicht existierte. Es war ein unglaublicher Moment. Ich fühlte, wie sein Blick durch meine Augen ging und aus meinem Hinterkopf herauskam, wie er das Gehirn in meinem Schädel zu einem Häuflein Asche versengte. Zum erstenmal in meinem Leben erkannte ich, daß ich ein Nichts war, ein absolutes Nichts. Nein, das erschütterte mich nicht so, wie man vielleicht glauben könnte. Anfangs machte es mich fassungslos, aber als der Schock dann abklang, fühlte ich mich davon gestärkt, als sei es mir gelungen, meinen eigenen Tod zu überleben. Nein, das trifft die Sache nicht ganz. Ich war erst siebzehn Jahre alt, fast noch ein Junge. Als Teslas Blick durch mich hindurchging, erlebte ich meinen ersten Vorgeschmack auf den Tod. Das kommt dem näher, was ich sagen will. Ich schmeckte die Sterblichkeit in meinem Mund, und in diesem Augenblick begriff ich, daß ich nicht ewig leben würde. Man braucht lange, um das zu lernen, aber wenn man es endlich gelernt hat, ändert sich alles für einen, kann man nie mehr derselbe sein. Ich war siebzehn Jahre alt, und plötzlich wurde mir ohne den geringsten Zweifel klar, daß mein Leben mir gehörte, daß ich mir gehörte und niemandem sonst.
Ich rede von der Freiheit, Fogg. Von einem Gefühl der Verzweiflung, das so heftig, so erdrückend, so katastrophal wird, daß einem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich davon zu befreien. Das ist der einzige Ausweg, oder man kriecht in eine Ecke und stirbt. Tesla hat mir meinen Tod vermittelt, und in diesem Augenblick wußte ich, daß ich Maler werden würde. Das war es, was ich wollte, doch bis dahin hatte ich nicht den Mut gehabt, es mir einzugestehen. Mein Vater hatte nur Aktien und Anleihen im Kopf, dieser Scheißgeldsack, hielt mich für schwul. Aber ich habe es einfach gemacht, ich wurde Künstler, und ein paar Jahre später fiel der Alte in seinem Büro an der Wall Street tot um. Ich war da zwei- oder dreiundzwanzig, und am Ende erbte ich sein ganzes Geld, jeden einzelnen Gent. Ha! Ich war der reichste verdammte Maler, den es gab. Ein millionenschwerer
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