Mondberge - Ein Afrika-Thriller
ragte hoch aus dem leuchtenden See, und der Wasserfall schoss dahinter wie ein Geysir aus der Felswand hervor. Das Schauspiel war faszinierend.
Der Forscher ging weiter auf dem immer schmaler werdenden Weg entlang, bis er nach ein paar Minuten an eine Stelle kam, die überspült wurde. Auf einer Breite von fast fünf Metern floss das Wasser beinahe gemächlich in einen Gang, der sich in den Berg bohrte. Georg hatte den Überlauf des Sees gefunden. Und er beschloss, ihm zu folgen. Wenn das Wasser hier in der Tiefe des Berges verschwand, dann musste es auch irgendwo wieder herauskommen. Er war sich sicher, dass die Gorillas ebenfalls dem Wasser gefolgt waren.
Das Ufer am Rande des Baches war glitschig. Georg folgte langsam seinem Verlauf. Ein paar Mal hatte er das Gefühl, er werde verfolgt. Er blieb stehen und rief leise nach Stefan, aber er bekam keine Antwort. Das Leuchten nahm nach und nach ab, der Bach floss ruhiger und Georg spürte jetzt die Anstrengungen des Tages. Immer häufiger trat er unsicher auf, rutschte beinahe aus oder stolperte über die Tropfsteine. Erschöpfung machte sich in ihm breit, aber er wollte nicht stehen bleiben. Er hätte sich ohnehin nicht stärken können – die Träger hatten die gesamte Verpflegung in ihren Rucksäcken gehabt.
Also marschierte er weiter am Bach entlang, taumelte dann und wann gegen die Felswände und nahm nicht wahr, wie ein leichter Dunst aus dem Bachbett aufstieg. Erst als er von der Feuchtigkeit vollkommen umgeben war, registrierte er den Nebel. In diesem Moment stolperte er über einen Stein am Boden und stürzte ins Wasser. Bevor er sich wieder ans Ufer retten konnte, verschluckte er sich. Sein Organismus reagierte panisch, und er verlor die Orientierung, stieß immer wieder mit Armen, Beinen und dem Kopf an Felsen und Vorsprünge und bemerkte Gestalten, die ihn vom Ufer aus anstarrten. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, sah er ein helles Licht. Er ahnte, was das zu bedeuten hatte, und schrie laut auf. Er wollte nicht sterben.
44
Auf dem Pass, 18. Juni
Jens war um keinen Tag gealtert. Und er sah ebenso fröhlich aus wie damals, als er wie verrückt auf der viel zu dünnen Eisdecke herumgesprungen war. Die Wärme. Wieder spürte Tom eine Wärme, die von innen kam, aus dem Rumpf. Aus der Tiefe seiner Seele. Nun verstand er, was diese Wärme bedeutete: Es war Liebe. Die tief empfundene Liebe zu seinem kleinen Bruder, dessen Tod er vor vielen Jahren verschuldet hatte. Eine Liebe, die er über zwanzig Jahre lang aus Scham verleugnet hatte. Jens hatte sie ihm zurückgebracht und sie würde ihm Zeit seines Lebens erhalten bleiben. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. Tom lächelte.
Plötzlich ging die Wärme verloren. Sein Körper fühlte sich an, als würde er von tausend feinen Nadeln malträtiert. Die Haut brannte wie Feuer und er spürte seinen linken Arm nicht mehr. Die Umgebung begann sich ganz langsam zu drehen.
»Tom?« Eine Stimme rief nach ihm.
Er öffnete seine Lider einen kleinen Spalt breit, und sofort schoss Helligkeit schmerzend in seinen Kopf. Er schloss die Augen wieder.
Andrea und Peter schleppten ihn den Berg hinunter. Immer noch. Die Schmerzen waren unerträglich. Die Lähmung im linken Arm machte ihm Angst. Er bekam keine Luft.
»Tom.«
Vermutlich waren auch Peter und Andrea am Ende; sie stemmten sich dagegen. Tom hörte wie von ferne, dass sie sich gegenseitig immer wieder anspornten. Anspornen mussten.
»Tom!«
Als Tom die Augen öffnete, blendete ihn der Schnee so sehr, dass er meinte, zu erblinden. Ein grauer Schatten zog vor ihm vorbei. Zwei orange Augen sahen ihn direkt an. Dann verschwand die Erscheinung wieder. Tom versuchte, die Umgebung um sich wahrzunehmen. Nun zogen zwei Schatten immer engere Kreise um ihn, beide blickten ihm mit ihren glühenden Augen entgegen.
»Tom?« Die Stimme drang nur langsam zu ihm durch. Eine Frauenstimme. Vor ihm schwebte ein verschwommenes Gesicht.
»Tom?«, sagte die Stimme wieder. »Kannst du mich hören?«
Was sollte er antworten?
»Ja, vad är det?«, fragte er.
»Tom? Geht es dir gut?«
»Det gör ont i armen och i handen.« Irgendetwas kam ihm komisch vor.
»Tom? Was sagst du? Ich kann dich nicht verstehen.«
»Jag kommer inte ihåg hur jag svarar på tyska. Hjälp mig!«
»Peter, was ist das? Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt.«
»Ich habe gehört, dass manche in einer anderen Sprache sprechen, wenn sie höhenkrank sind. Das klingt skandinavisch ... ich habe mal
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