Mondberge - Ein Afrika-Thriller
folgen den Weißen.«
Sie sahen den Berg hinauf. Zwei Fliehende waren schon wieder auf den Beinen. Der dritte lag noch immer im Schnee, er schien verletzt zu sein. Hitimana beobachtete, wie die beiden nun dem Dritten aufhalfen und den Hang in Richtung der Passhöhe hinaufstapften.
»Wir müssen los, sonst verlieren wir sie«, drängelte Hitimana.
Mugiraneza rappelte sich auf. Dann gingen sie los und folgten ihnen so unauffällig es ging. Hitimana wusste nicht, wie sie reagieren würden, wenn sie die Verfolgung bemerkten. Aber es blieb ihnen keine andere Wahl. Hin und wieder blieb er stehen, horchte ängstlich, ob sie selbst vielleicht auch verfolgt würden. Dann eilten sie weiter.
»Hast du nicht gesagt, diese Berge dürften wir nicht betreten?«, fragte Mugiraneza, während er sich durch den Schnee kämpfte. »Und jetzt gehen wir doch noch weiter rauf.«
»Wir können nur diese Richtung nehmen. Die Geister werden das verstehen.«
»Sie werden uns bestrafen.«
»Ich habe vor den Geistern keine Angst. Die Geister sind gerecht. Ich fürchte mich vor Paul.«
»Was ist da drüben?«
»Ich weiß es nicht. Wenn es stimmt, was unsere Eltern und Großeltern erzählt haben, dann werden wir das Gebirge nie wieder verlassen. Wenn es nicht stimmt, dann wird dort nur ein neues Tal oder ein noch höherer Berg sein.«
»Ich bin so müde. Können wir nicht eine Pause machen?« Mugiraneza schien beim Laufen im Schnee immer kleiner zu werden.
»Wir dürfen die Gruppe nicht aus den Augen verlieren! Der eine ist ein Guide, der kennt sich hier vielleicht aus und kann uns sagen, wie wir nach Hause kommen.«
Frierend marschierten sie der kleinen Gruppe hinterher. Sie stolperten durch hohen Schnee, die Gummistiefel waren innen vollkommen nass und ihre Erschöpfung nahm ihnen immer wieder den Mut. Aber sie stapften weiter, hielten sich an den Händen, überquerten schließlich den Pass. Hitimana wusste nicht, wie lange sie schon gelaufen waren, als er wieder den Gesang seiner Schwester hörte. Sie sang, um ihnen Mut zu machen. Sie führte sie über diesen kalten Berg, der ihre einzige Chance in die Freiheit war. Als Mugiraneza wieder einmal die Kraft ausging, biss Hitimana die Zähne zusammen, nahm den Jüngeren auf die Schulter und marschierte mit der zusätzlichen Last weiter. Den Pass hatten sie hinter sich gelassen, sodass es zumindest wieder leicht bergab ging. Aber jeder Muskel schmerzte. So spüre ich wenigstens, dass ich noch lebe, mahnte Hitimana sich selbst zum Durchhalten.
Die Gruppe vor ihnen kam nur langsam voran, sodass Hitimana kaum Schwierigkeiten hatte, ihnen zu folgen. Der Guide hatte die beiden Jungen längst bemerkt, das wusste Hitimana. Aber er hatte das Tempo daraufhin nicht beschleunigt, sondern eher gedrosselt. Hitimana hatte den Eindruck, dass er ihnen die Gelegenheit geben wollte, näher an sie heranzukommen. Sie alle wussten, dass sie viel eher überleben würden, wenn sie als größere Gruppe unterwegs waren. Daher gab Hitimana es nach einer Weile auf, sich vor den Blicken der anderen zu verbergen.
Mugiraneza schöpfte ein wenig Kraft und nahm den Kampf gegen den Berg wieder auf eigenen Füßen auf. Erleichtert streckte Hitimana den schmerzenden Rücken durch. Vor ihnen lag nun ein weites Tal, über dem eine dichte Nebeldecke hing. Was erwartete sie dort unten? Schlimmer als bisher konnte es nicht werden.
47
Im Tal, am Morgen des 19. Juni
Die Nacht war so schnell über sie hereingebrochen, wie der Schneesturm geendet hatte. Peter hatte eine kleine geschützte Höhle unterhalb der Schneegrenze entdeckt, in der sie sich ausruhen konnten. Aus einem Bach, der neben dem Eingang zu ihrem Unterschlupf den Hang hinabfloss, konnten sie Wasser schöpfen und ihren Durst löschen. Tom fiel bald in einen flachen, unruhigen Schlaf, aus dem er mehrfach aufschreckte, weil ihm in kurzen Traumbildern immer wieder sein Bruder begegnete. Erst gegen Morgen wurde sein Schlaf friedlicher, sodass auch Andrea etwas Ruhe fand. Peter hingegen machte kein Auge zu. Er ahnte, wo sie angelangt waren.
Die Sonne ging auf, als sich Tom schwerfällig von seinem dürftigen Lager erhob. In einem lang gestreckten Talkessel vor ihm waberte der Nebel. Felsen umgaben ihn, dorniges Gestrüpp wucherte dazwischen. Nur an einigen geschützten Stellen lag noch der eine oder andere Flecken Schnee. Dieser Eindruck war alles andere als einladend, sodass sich Tom schon wieder in die Trockenheit der Höhle zurückziehen wollte, als er in den
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