Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Chagas Leichnam hinüber. Kai und Martin folgten ihm kurz darauf und gemeinsam begannen sie am Rande des Lagers mit Holzbrettern eine Grube auszuheben. Sie arbeiteten schweigend. Als sie fertig waren, kam Steve zu Birgit zurück. Er sah sie erwartungsvoll an.
»Was ist los?«
»Ich weiß nicht, von welchem Stamm er ist«, sagte Steve. »Also kenne ich die Beerdigungsriten seines Volkes auch nicht.«
»Ist das so wichtig?«
»Ja, wir sind hier im Herzen des Ruwenzori. Mit den Geistern sollten wir es uns nicht verderben!«
Birgit war müde. Viel zu müde, um sich mit solchen Problemen auseinanderzusetzen. Sie sehnte sich nach ein wenig Ruhe.
»Dann begrabt ihn doch nach den Riten deines Volkes.«
»Ich bin Christ. Meine Familie hat die Religion unserer Ahnen vor vielen Generationen hinter sich gelassen. Aber in Ordnung«, fuhr er fort, als Birgit nicht auf ihn einging, »wenn du das so entscheidest ... Du bist hier der Chef.«
Erstaunt sah Birgit ihn an. »Wenn hier jemand das Sagen hat, dann ja wohl der Kerl da drüben.«
Sie wies mit der Hand auf Rukundo.
»Er gehört zu den Leuten, die uns entführt haben. Er hat Chaga erschossen. Soll er doch entscheiden.«
»Der Mann ist ein Mörder. Die Götter werden seine Entscheidungen nicht akzeptieren. Sie werden ihn töten.«
Für Sekunden stierte Birgit ohne Reaktion ins Nichts.
Dann murmelte sie: »Begrabt ihn nach christlichem Ritus. Besser als nichts.«
Sie lehnte sich an einen großen Stein. Die Erschöpfung steckte ihr in allen Gliedern. Sie wusste nicht viel von diesen Bergen, sie hatte bislang auch nicht an übernatürliche Wesen geglaubt. Aber als Chaga vom Teufel gesprochen hatte, der ihm im Wald begegnet war, und kurz danach Blitz und Donner über sie hinweggefegt waren, da hatte sie verstanden, dass der Ruwenzori anders war als jeder Ort, den sie bislang gesehen hatte. Hier waren die Geister. Und sie hatten Macht. Macht über die Natur und über die Menschen. Rukundo hatten sie aus der Bahn geworfen, als er einen Unschuldigen getötet hatte. In wenigen Sekunden. Einfach so.
Schließlich bemerkte sie, wie Steve und Martin den Körper des Getöteten vorsichtig in die Grube legten und mit Erde bedeckten. Ameisen liefen in einer langen Reihe über Birgits Stiefel. Ihr Blick folgte ihnen und sie sah, dass ihre Straße genau auf das Grab zuführte.
Steve saß erschöpft neben Martin, der seinen Arm um ihn gelegt hatte. Kai hockte nicht weit von Birgit entfernt, Tränen rannen über sein Gesicht. Er schien in Gedanken bei Kathrin zu sein, von der sie seit ihrem Verschwinden nichts mehr gehört oder gesehen hatten. Ndabarinzi und Mugabo hatten sich wieder unter ihre Plane zurückgezogen. Birgit musste sich unbedingt weiter um Mugabos Wunde kümmern. Der Streifschuss war nun zwei Tage her, aber die Gefahr, dass die Wunde sich entzündete, war noch immer groß.
Das hier muss das Ende der Welt sein, schoss es Birgit durch den Kopf. Es gibt wohl keinen Ort, an dem man hoffnungsloser und weiter weg sein könnte von allem. Jetzt war ihr plötzlich klar: Sie war genarrt worden. Verarscht nach Strich und Faden. Paul hatte nie auch nur vorgehabt, die Entführung bis zum Ende mitzumachen. Er hatte es selbst auf Andrea abgesehen, und zwar nur auf sie. Paul würde Andrea töten, wenn er sie fand. Birgit war sich plötzlich sicher. Sie hatte sich die ganze Zeit gefragt, weshalb er sie wie eine normale Geisel behandelte und ohne richtige Bewachung einfach zurückließ. Nun wusste sie, dass sie die ganze Zeit überhaupt keine Rolle für ihn gespielt hatte. Ganz im Gegenteil, sie war einfach nur im Weg gewesen. Birgit hatte große Hoffnungen in Paul gesetzt und war enttäuscht worden. Die Wut über Chagas Tod vermischte sich mit einem unsäglichen Hass auf diesen Mann, der sie so zum Narren gehalten hatte. Wieder einmal hatte man sie betrogen. Dabei hatte sie diese ganze Aktion gerade unternommen, um genau das ein für alle Mal zu beenden – sie wollte nicht mehr der Spielball anderer sein, nicht mehr von dem guten Willen der anderen abhängen und immer wieder enttäuscht werden wie damals von Andrea. Hätte Andrea sie nicht vor vielen Jahren hängen lassen, als sie ihre Hilfe gebraucht hätte, wäre Birgits Leben anders verlaufen. Sie hätte ihren Job in der Krankenstation aufgeben können. Sie würde längst auf eigenen Füßen stehen und eine eigene Praxis leiten. Ihr damaliger Freund Rainer wäre bei ihr geblieben. Sie hätte endlich Kontinuität und eine Heimat
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