Mondberge - Ein Afrika-Thriller
gerade?«, fragte Tom Peter flüsternd.
»Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete der Guide leise. »Das sind keine normalen Gorillas.«
»Sondern?« Tom sah die großen Tiere vor sich ehrfurchtsvoll an.
»Ich meine: keine wilden Tiere, wie du sie vielleicht kennst.«
Tom schaute verzweifelt fragend zu Peter hinüber.
»Diese Berggorillas sind anders als alle Tiere, die ich bisher gesehen habe«, fuhr Peter fort. »Wir sind hier mitten im Ruwenzori. An diesen Ort kommen niemals Touristen. Hier gibt es keine Menschen, es sei denn, sie jagen. Daher müssten die Tiere eigentlich längst vor uns geflohen sein. Wir hätten sie noch nicht einmal sehen dürfen.«
»Was bedeutet das?«
»Ich weiß es nicht. Mir ist das unheimlich.«
Nach und nach erhoben sich nun die Berggorillas und marschierten auf allen vieren über den bewaldeten Hang hinab. Die Menschen folgten ihnen in kurzem Abstand.
Die Luft wurde klarer. Über ihnen lag immer noch eine dichte Wolkenschicht, aber unter ihnen breitete sich ein wunderschönes Tal aus. Tom verschlug es für einen Moment den Atem. Er hatte es gefunden – das geheimnisvolle Tal, von dem ihm die Alte erzählt hatte. Er hatte den Glauben daran schon fast verloren, zeitweise war ihm dieses Ziel sogar abhanden gekommen. Aber jetzt lag das Tal tatsächlich vor ihm. Ausgerechnet jetzt. In Begleitung der ungewöhnlichen Tiere.
48
Bayira, einen Tag vor dem Fest
Als Kambere am Morgen Wasser holte, dachte er an den blassen Jungen, den er am Abend zuvor gesehen hatte. Konnte er tatsächlich besser mit den Geistern kommunizieren als die anderen? Mbusa schien es wichtig, dass er selbst an diese Gabe glaubte. In den letzten Jahren hatte Kambere die Geister seiner Ahnen immer wieder gesehen und er hatte auch seiner Mutter davon erzählt. Jetzt erinnerte er sich, dass seine Mutter ihn anfangs jedes Mal gemahnt hatte, nicht mit anderen darüber zu sprechen. Sie hatte behauptet, die Tradition verbiete das. Und da seine Freunde niemals von solchen Begegnungen berichteten, war Kambere einfach davon ausgegangen, dass sie sich genauso an die Tradition hielten. Dass sie die Geister gar nicht sehen konnten, weil sie noch nicht gelernt hatten, Verbindung zu ihnen aufzunehmen – auf diese Möglichkeit war er nicht gekommen.
Kambere suchte nach Mbusa, um ihm von der Begegnung zu erzählen. Er berichtete seinem Lehrer von dem weißen Jungen, der mitgeteilt hatte, dass jemand in Not sei. Schweigend lauschte Mbusa seinen Worten, wiegte den Kopf hin und her, als sei er unsicher, ob er dem Jungen Glauben schenken sollte.
»Kambere, ich habe dir gestern etwas über die bösen Geister erzählt.«
Kambere nickte.
»Manchmal ist es sehr schwer, die guten von den bösen Geistern zu unterscheiden, denn sie schlüpfen ab und zu in eine andere Gestalt. Dies zu erkennen, bedarf einiger Übung.«
»Dann meinst du also, der Junge, der gestern bei mir war, war ein böser Geist?«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Woran kann ich es denn erkennen?«
»Dein Großvater zum Beispiel – bei ihm kannst du sicher sein, dass er niemals zulassen wird, dass ein böser Geist in seiner Gestalt vor dir erscheint. Aber den Jungen von gestern kanntest du nicht. Daher musst du sehr vorsichtig sein.«
Kambere war verwirrt, denn der Geist des Jungen hatte sehr überzeugend auf ihn gewirkt. Und noch immer glaubte er fest daran, dass dieser ihn wirklich um Hilfe gebeten hatte.
»Und wenn nun wirklich jemand Hilfe braucht ...«
»Die Balindi werden sich darum kümmern, vertrau auf sie.«
Kambere senkte den Kopf und Mbusa wandte sich ab. Er durfte die Entscheidungen des Älteren nicht anzweifeln. Zumindest so lange nicht, bis er beschnitten war. Dann war er ein Mann und konnte allein entscheiden, was er tat. Und vielleicht hatte Mbusa ja auch recht. Mit einem bösen Geist wollte Kambere sich auf keinen Fall einlassen.
Kambere eilte Mbusa hinterher.
»Wie lange werden wir hier in diesem Lager bleiben?«, fragte er seinen Lehrer.
»Nur noch heute. Gegen Mittag werden wir wieder absteigen.«
»Erzähl mir bitte mehr von der Welt auf der anderen Seite der Berge.«
»Meinst du nicht, du wirst das noch früh genug erfahren?«
»Kann schon sein. Aber was macht diesen Moment schlechter als einen anderen?«
Mbusa sah seinen Schützling erstaunt an. Dann lachte er.
»Damit hast du natürlich vollkommen Recht.« Er setzte sich auf einen Baumstamm, der ihnen als Bank diente und begann, die vor ihm liegenden Maniok-Wurzeln zu
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