Mondberge - Ein Afrika-Thriller
seiner eigenen Familie erzählte, spürte er dessen große Sehnsucht nach Geborgenheit und Zusammenhalt.
Kambere fischte aus dem kleinen Lederbeutel, den er von Mbusa bekommen hatte und immer um den Hals trug, zwei Kaffeebohnen heraus, dann zückte er sein Messer. Er legte beides zwischen sich und Hitimana auf ein Stück Baumrinde und sah seinen neuen Freund an. Der blickte auf die Bohnen, dann auf Kambere und nickte. Kambere prüfte die Schärfe des Messers und ritzte sich dann einen winzigen Schnitt unterhalb des Bauchnabels in die Haut. In das heraustretende Blut tauchte er eine der beiden Kaffeebohnen. Hitimana tat dasselbe bei sich. Dann tauschten sie die Bohnen aus, betrachteten sich einen Moment schweigend und schluckten sie herunter.
»Wenn du mich eines Tages belügst«, sagte Kambere leise, »dann wird das Blut, das du geschluckt hast, deinen Magen anschwellen lassen, bis du daran stirbst. Wenn ich mit einer schweren Krankheit zu dir komme, dann wirst du mich nicht fortschicken. Wenn ich nackt zu dir komme, dann wirst du mir Kleidung geben. Wenn ich hungrig zu dir komme, werde ich niemals mit leerem Magen wieder gehen. Weder wir, noch unsere Kinder oder unsere Clans werden uns jemals gegenseitig Schlechtes antun.«
Hitimana wiederholte Kamberes Worte mit fester Stimme. Nun waren sie aneinander gebunden. Wohin auch immer sie gehen sollten. Was ihnen auch immer geschah. Die Blutsbrüderschaft durfte nichts und niemand trennen. In Ergriffenheit und Ehrfurcht standen beide auf, um langsam ins Dorf zurückzugehen.
Erste Stimmen ertönten, mehr und mehr Feuer wurden entfacht und immer wieder hoben sich die Blicke der Menschen zum Himmel. Kambere war sich nicht sicher, wie er seine Rolle bei all dem einschätzen sollte, aber auch er war sehr gespannt.
Die gesamte Dorfgemeinschaft war zusammengekommen. Am Rande des Platzes wurde das große Xylophon gespielt, immer lauter fielen die Stimmen ein. Und dann geschah es. Die Wolkendecke riss auf und gab die kreisrunde Scheibe des Vollmonds frei. Strahlend warf dieser sein Licht in das Tal und erhellte alles mit einem zauberhaften, unwirklichen Schein. Kambere stand mit offenem Mund mitten auf dem Platz und starrte nach oben.
»Hast du den Mond wirklich noch nie gesehen?«, fragte Hitimana.
»Er ist wunderschön.« Kambere war ernsthaft ergriffen.
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man den Mond hier sonst nie sieht«, sagte sein Freund.
»Aber du weißt doch, wie man den Ruwenzori auch noch nennt, oder?«
»Mondberge!«
»Genau. So nennt man den Ruwenzori schon seit Tausenden von Jahren. Aber niemand außerhalb dieses Tals weiß mehr, warum. Dabei ist es so einfach: Der Name stammt von hier, denn nur wenn der Vollmond die Wolken vertreibt, sieht man die Spitzen dieser Berge. Das ist etwas Besonderes. Die Menschen haben diese Erklärung vergessen. Und jetzt suchen sie verzweifelt nach einem Grund für den Namen und finden ihn nicht.« Kambere lächelte bei der Vorstellung.
Auf dem Platz bildeten die Inselbewohner einen weiten Kreis, in dessen Mitte er nun seinen Freund Baluku treten sah. Der bemerkte Kambere, sprach mit Mbusa, der neben ihm stand, und lief dann geradewegs auf den Jungen zu.
»Ich verstehe das zwar nicht richtig, aber Mbusa schickt mich«, sagte Baluku. »Ich soll dir mitteilen, dass dir das Gleiche geschehen soll wie deinem Bruder Thembo. Deshalb sollst du dich verstecken.« Er musterte Kambere ratlos. »Was bedeutet das?«
Kambere fror. Muthahwa schmiedete also Pläne gegen ihn, und Mbusa versuchte ihn zu schützen. Er musste etwas unternehmen. Sofort. Er legte Baluku seine rechte Hand auf die Schulter.
»Kannst du ein Geheimnis wahren?«
Baluku nickte.
»Ich werde nicht an der Zeremonie teilnehmen. Ich gehe fort. Sehr bald.«
Baluku legte seinem Freund die rechte Hand auf die linke Schulter, und sie hielten ihre Köpfe aneinander.
»Ich komme zurück. Das verspreche ich dir«, sagte Kambere leise. »Geh jetzt. Wir werden uns wiedersehen.«
Baluku löste sich verstört aus der freundschaftlichen Umarmung, nickte Hitimana zu und rannte zurück.
»Wir sehen uns in einer anderen Zeit«, flüsterte Kambere seinem Freund nach.
»Was hast du gesagt?«, fragte Hitimana.
»Nichts, es ist nichts«, antwortete Kambere. In dem Moment, als Baluku ihm die Hand auf die Schulter legte, war ihm klar geworden, dass etwas geschehen würde. Noch in dieser Nacht.
»Was hat Baluku dir erzählt?«, fragte Hitimana. »Ich habe das nicht
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