Mondberge - Ein Afrika-Thriller
letzten Moment konnte Kambere die herabstürzenden Fluten nicht sehen. Ruhondeza stoppte erst am Ufer des Sees. Er sah Kambere mit seinen großen, orange leuchtenden Augen an, dann begann er einen kurzen Aufstieg. Auf einem schmalen Pfad kleterte er eng an der Felswand entlang, bis auf die Höhe an der das Wasser aus dem Felsen schoß. Er verschwand in einem verdeckten Spalt. Und Kambere folgte ihm. Als er sich zum letzten Mal zu seinem Tal umwandte, sah er die vom letzten Schimmer des Mondlichts beschienene Insel. Tränen traten in seine Augen. Das war der Abschied von allem, was er kannte.
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Im Tal, während der Feier
Tom hatte sich von den anderen entfernt, als sich die Feier im Dorf seinem Höhepunkt näherte, und wartete wie verabredet am Ufer. Mbusa bewegte sich lautlos durch die Dunkelheit und stand plötzlich vor ihm. Er nickte Tom nur kurz zu, dann eilte er schon weiter zu einem der Boote, sprang hinein und stieß es ab, als auch Tom eingestiegen war. Sie paddelten mit schnellen Schlägen zum anderen Ufer, versteckten dort das Boot zwischen den Büschen und gingen zu Fuß weiter. Niemand schien sie bemerkt zu haben. Nur die Balindi saßen beinahe regungslos am Wasser und beobachteten sie aufmerksam.
Schweigend stapften sie durch das dichte Gebüsch einen Hang hinauf, bis sie zu einer kleinen Lichtung kamen, die an einer Seite von Felsen begrenzt war. Der Himmel war wolkenlos, während der Mond über ihnen die Umgebung zu einer gespenstisch wirkenden Szenerie erhellte. Auf dem See lag der Nebel so dicht, dass das Wasser nicht zu erkennen war. Im ganzen Tal waren die fröhlich feiernden Menschen der Insel zu hören. Alles schien aus einer anderen Welt zu entspringen, und zum ersten Mal konnte Tom die sich schwarz gegen den Himmel abzeichnenden Berge erkennen, deren schneebedeckte Spitzen hell im Mondlicht erstrahlten.
Sie setzten sich unter einem Felsüberhang auf einen umgestürzten Baumstamm, und Mbusa holte mit langsamen Bewegungen einige Kräuter aus einem Stoffbeutel, breitete sie auf einem flachen Stein aus und entzündete ein kleines Feuer. Tom wurde bewusst, wie unheimlich die Situation auf ihn wirkte.
Gerade wollte er Mbusa fragen, was genau er vorhatte, als er eine Bewegung am Rande der Lichtung wahrnahm. Zwei Balindi kamen langsam zwischen den Bäumen hervor, sahen zu ihnen herüber und ließen sich im hohen Gras nieder. Tom war fasziniert. Die Tiere waren majestätisch und wirkten zugleich unendlich beruhigend auf ihn. Er atmete tief durch und entspannte seine müden Muskeln. Er schloss für einen Moment die Augen, um dieses Gefühl ganz in sich aufzusaugen.
Er spürte Jens’ Anwesenheit, bevor er ihn sehen konnte. Tom wusste, dass sein Bruder da war. Er öffnete die Augen, um sich umzusehen. Außer Mbusa und den beiden Gorillas konnte er nichts erkennen. Nach einer Weile bemerkte er feinen Nebel, der aus dem Wald zu ihnen herüber strich. Der anfängliche Hauch wurde allmählich immer dichter. An einer Stelle des Waldes sammelte er sich, bis er sich schließlich zu einer vage erkennbaren Gestalt verfestigte. Da war er. Jens blickte traurig zu Tom hinüber.
»Mbusa«, sagte Tom. »Mein Bruder ist da.«
»Er ist immer da.«
»Woher weißt du das?«
»Kambere hat es mir gesagt. Der Junge nimmt viel mehr wahr, als ihm lieb ist. Er hat gesehen, dass dein Bruder immer in deiner Nähe ist.«
»Ist das ein gutes Zeichen?«
»Er ist schon viel zu lange in seinem jetzigen Zustand. Er will sich wandeln, um an dem Kreislauf des ewigen Lebens teilzuhaben.«
»Wird er dann verschwinden?«
»Er wird weiterhin für dich da sein, jedoch wird er in anderer Gestalt durch die Welt gehen. Aber noch ist er nicht soweit.«
»Jens kann nicht loslassen?«
»Ihm muss etwas widerfahren sein, dass heute noch seine Wandlung verhindert.«
»Kann ich ihm helfen?«
»Ja, das wirst du tun.« Mbusa sah Tom streng an »Du musst dich erinnern. Nur dann kannst du ihn verstehen.«
Mbusa hatte auf dem Feuer eine Art Tee gekocht, den er Tom nun anbot. Auch er selbst nahm einen kleinen Schluck davon.
»Trink das. Es wird dir helfen, dich zu entspannen. Danach wirst du die Dämpfe der Amaryllis einatmen. Ich habe unsere Kräuterkundigen im Dorf ausgefragt. Die Dämpfe der getrockneten Blüten der Amaryllis können die Vergangenheit zurückbringen.«
Tom trank den würzig schmeckenden Tee und spürte die Entspannung in jeder Faser seines Körpers. Zugleich wurde er von einer inneren Zufriedenheit durchdrungen, die
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