Mondberge - Ein Afrika-Thriller
seine Angst vertrieb und ihn neugierig auf das machte, was ihm bevorstand.
Mbusa nahm eine Hand voll von den Blüten, die vor ihnen auf dem Stein lagen, zerrieb sie zwischen den Händen und streute sie langsam in das Feuer. Sofort stieg Tom ein erst beißender, dann aromatisch werdender Duft in die Nase.
Als der Rauch sich verzogen hatte, blieb ein Gefühl der Betäubung zurück, das Tom wegdämmern ließ. Obwohl er die Augen weiterhin offen hielt, schoben sich bald Bilder in sein Sichtfeld, die nichts mit dem Ort zu tun hatten, an dem er sich gerade befand. Eindrücke von Situationen, die er nur wenige Stunden zuvor erlebt hatte, wurden abgelöst von solchen aus den ersten Tagen der Wanderung. Er saß mit seinen Eltern zusammen, erinnerte sich an den Moment, als sein Vater ihm zum ersten Mal von seiner Krankheit erzählte, an die Trennung von seiner letzten Freundin. Er hatte lange nicht mehr an diese Situationen gedacht, hatte sie weggeschoben, weil sie ihm unangenehm waren. Immer weiter reiste Tom in seiner Vergangenheit zurück.
Und dann war da mit einem Mal Schnee. Der Winter in Schweden. Tom war sechzehn Jahre alt. Sein Vater redete auf ihn ein. Ununterbrochen.
»Woher hast du bloß diese abstrusen Ideen?«, hörte Tom seinen Vater fragen. Er fühlte sich so klein, so elend und völlig missverstanden.
»Was ist so abstrus daran, Umweltaktivist bei Greenpeace zu werden?«, fragte er.
»Umweltaktivist. Hirngespinste! Du bist alt genug, um zu wissen, wie naiv das ist, was du da sagst.«
»Das ist aber nun mal das, was ich tun möchte ...«
»Komm auf den Teppich. Triff endlich eine realistische Berufswahl. So wie dein Bruder. Obwohl Jens jünger ist als du, ist er viel erwachsener. Er hat sich entschieden. Er weiß, was er tun will. Und seine Entscheidung hat Hand und Fuß. Damit wird er eines Tages viel Geld verdienen.«
Tom lachte zynisch. »Jens will Fotograf werden. Wie soll er damit Geld verdienen?«
»Alle großen und berühmten Fotografen haben einmal klein angefangen. Und sieh dir doch an, wie gut er jetzt schon fotografiert. Du hingegen fängst mit tausend Dingen an, hältst aber nichts davon bis zum Ende durch. Du hast angefangen, Schwedisch zu lernen, hast aber nach einem Jahr wieder aufgehört. So geht das bei dir schon immer. Du musst endlich lernen, beständig zu sein.«
Tom sah sich selber, wie er wütend durch den viel zu warmen Raum der Holzhütte rannte, seine Jacke vom Haken rupfte, die Tür aufriss, draußen von der eisigen Kälte empfangen wurde und in den Schnee hinausstürmte. Er wollte diese Diskussionen mit seinem Vater nicht mehr führen.
Tom hörte durch die geschlossene Tür den Streit der Eltern. Er fühlte sich schuldig daran, denn sie stritten über ihn. Ob es richtig gewesen war, ihn mit in den Urlaub zu nehmen, oder ob er Weihnachten zuhause bei den Großeltern hätte verbringen sollen. Sein Vater hielt nichts davon, ihn zu zwingen, aber die Mutter hatte noch einmal als ganze Familie Weihnachten feiern wollen. Ein letztes Mal, bevor Tom zu alt dafür wurde.
Tom stapfte durch den verharschten Schnee auf die Straße zu. Hinter sich hörte er Rufe. Jens rannte ihm nach. Gemeinsam liefen sie die vereiste Schotterstraße entlang, immer weiter durch den Wald, bis sie zu der Holzbrücke kamen, die sich über einen zugefrorenen Fluss spannte. Tom schlitterte den Abhang hinunter, rutschte aus und überschlug sich dabei fast. Dann war er unten. Er tastete sich langsam auf das Eis vor. Der Fluss war in der Zeit der klirrenden Kälte auf der gesamten Breite zugefroren. Zehn Meter waren das sicher. Danach hatte es geschneit, aber auf der Eisfläche lag kein Schnee. Der Wind hatte ihn weggetrieben. Tom konnte das Wasser unten hindurchströmen sehen. Er drehte sich um und entdeckte seinen Bruder oben auf der Brücke.
Er lockte ihn. Er prahlte. Er nannte Jens einen Angsthasen. Ein Muttersöhnchen, das sich nichts traut. Jens zögerte eine Weile, kaute auf der Unterlippe, sprang schließlich den steilen Abhang hinab. Auf das Eis. Zunächst war er noch vorsichtig, doch dann ließ er die Hemmungen hinter sich, wurde regelrecht übermütig, tollte über das Eis und lief immer weiter in die Mitte des Flusses. Tom beklatschte ihn, rannte ihm nach. Um ihn zu ärgern nahm er ihm den Fotoapparat weg, den Jens immer bei sich hatte, und machte verwackelte Fotos von seinem Bruder. Wie zwei junge Hunde tobten sie über die glatte Fläche. Tom verschoss den ganzen Film.
Als das Eis brach, war Tom
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