Mondberge - Ein Afrika-Thriller
breites Lachen zog sich über das gesamte Gesicht, als Mbusa die verschlafene Miene seines Schülers bemerkte.
»Komm mit, wir steigen noch etwas weiter den Berg hoch«, sagte er. »Dort können wir üben und uns unterhalten.«
Kamberes Augen begannen augenblicklich zu leuchten, und er packte sein Messer und etwas zu Essen in seinen kleinen Beutel. Die beiden wanderten hintereinander an den steilen Hängen des Tals entlang. Kambere wollte seinen Lehrer mit Fragen über die Beschneidung und die Zeremonie bombardieren, doch er hielt sich zurück. Er sollte alles erfahren, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war.
Nach einer Stunde Fußmarsch wählte Mbusa eine passende Lichtung aus. Die Übungen zur Selbstverteidigung forderten Kamberes ganze Konzentration und Kraft. Erschöpft, aber begeistert ließ sich der Junge schließlich auf einem Felsen nieder, von dem aus er einen guten Blick über das gesamte Tal hatte. Sein Lehrer gesellte sich zu ihm. In der Nacht hatte es wie so oft geregnet. Der See schimmerte im trüben Licht, rund um sie herum funkelten Wassertropfen auf dem in tausend Grüntönen strahlenden Blättermeer. Das Dorf war nur vage zu erkennen, denn die hohen Büsche und Bäume auf der Insel verdeckten es beinahe vollständig. Allein die schmalen Rauchsäulen kündeten von den geschäftigen Vorbereitungen auf das große Fest, in dessen Mittelpunkt Kambere und die anderen Jungen in sechs Tagen stehen sollten.
Mbusa nahm vorsichtig einen Bambusstab in die Hand, begutachtete ihn ausführlich, schnitt ihn dann zurecht und begann, daraus eine Flöte zu schnitzen. Kambere kannte diese Flöten sehr gut. Er hatte auch selbst schon mehrfach versucht, eine zu machen, was ihm nur leidlich gelungen war. Er hatte jeden seiner Versuche weggeworfen. Mbusa wusste genau, worauf er achten musste, damit der Klang der Flöte sich in den der anderen Instrumente des Dorfes genau einfügte. Er galt als der geschickteste Schnitzer der Gemeinschaft.
Irgendwann konnte sich Kambere nicht mehr zurückhalten und beschloss, die Frage zu stellen, die ihm am meisten auf der Seele brannte.
»Weißt du, was auf der anderen Seite der Berge ist?«
Mbusa blickte seinen Schüler nachdenklich an. »Ich bin niemals über den Pass gegangen«, antwortete er schließlich zögernd. »Und es gibt im Dorf auch nur wenige, die wissen, was dort ist.«
»Also hat schon mal jemand den Pass überquert?« Kambere schaute die Hänge hinauf, die oberhalb der dichten Wolkendecke mit Schnee bedeckt waren, den man nie sehen konnte und der niemals schmolz. Irgendwo dort oben war ein Pass, der das Dorf mit der Welt außerhalb des Tals verband.
»Wir haben manchmal Felle übrig. Die verkaufen wir auf der anderen Seite.« Mbusa erforschte Kamberes verblüfftes Gesicht.
»An wen denn?«, fragte der Junge unruhig.
»Jenseits des Passes leben andere Stämme. Von denen bekommen wir Salz und Werkzeuge. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Warum schreibt unsere Tradition vor, dass man das Dorf nicht verlassen darf? Warum darf man nicht zurückkehren?« Kambere sah zu seinem Lehrer auf. »Habt ihr Angst vor dem, was auf der anderen Seite ist?«
»Wir haben keine Angst«, sagte Mbusa entschieden. »Wir haben beschlossen, hier allein zu leben und nicht mehr Kontakt als nötig mit anderen zu haben.« Mbusa unterbrach sich, blickte eine Weile schweigend in das Tal hinab, bevor er fortfuhr. »Die Menschen auf der anderen Seite des Passes sind verloren. Sie verachten und zerstören die Natur, sie respektieren die Geister nicht mehr. Uns wollten sie aus den Bergen vertreiben.«
Kambere ließ die Worte durch seinen Kopf wandern. Immer neue Fragen drängten sich dabei auf. Aber Mbusa sprach schon weiter.
»Ich habe das alles erfahren, als ich beschnitten wurde. Damals war ich etwa so alt und genauso neugierig wie du. Doch ich habe eingesehen, dass es manchmal gut ist, nicht alles zu wissen. Das wirst du auch noch verstehen.«
»Das glaube ich kaum«, meinte Kambere trotzig. Er wollte sich nicht so einfach abspeisen lassen. »Wenn du nicht selber gesehen hast, was auf der anderen Seite ist, dann kannst du doch nicht behaupten, dass es schlecht ist. Wer hat dir das denn erzählt?«
»Das war damals dein Vater. Er hat mich vor meiner Beschneidung unterrichtet, so wie ich jetzt dich unterrichte.« Mbusa lächelte verlegen.
»Aber mein Vater ist doch auch nie über den Pass gegangen, oder?«
»Auch er hat die Geschichten wiederum von jemandem gehört. Vermutlich von
Weitere Kostenlose Bücher