Mondberge - Ein Afrika-Thriller
schlägt er euch ins Gesicht.«
Tom nickte, er hatte verstanden.
»Was ist passiert?«, wollte er wissen.
»Kurz nachdem ihr verschwunden wart, haben die Soldaten uns überwältigt, gefesselt und jeden einzeln bewacht. Jede Stunde ist einer gekommen und hat die Männer geschlagen. Martin hat sich gewehrt, hat die Soldaten immer wieder angeschrien, bis sie ihm eine Socke in den Mund gestopft haben. Er ist daran fast erstickt, weil er aus der Nase geblutet hat, doch irgendwie hat er es dann geschafft, das Blut rauszublasen.«
»Hans und Birgit haben offenbar Glück gehabt«, murmelte Tom.
»Sie haben sich von Anfang an zurückgehalten, sich nicht gewehrt, keinen Ton gesagt. Hans scheint es hier noch am besten zu gehen.«
Eine Weile schwieg Michael. Dann erzählte er leise weiter.
»Kai hat immer wieder nach Kathrin gefragt, bis Pauls Stellvertreter, diesem Innocent, der Kragen geplatzt ist. Er hat ihn einfach bewusstlos geschlagen.«
»Kathrin ist also nicht wieder aufgetaucht?«, unterbrach Tom ihn, wobei er unbedacht so laut sprach, dass einer der Bewacher aufmerksam wurde. Er kam herbeigeeilt und drohte ihm mit Schlägen. Tom senkte demütig den Kopf und schwieg, bis der Soldat das Interesse an ihm verloren hatte. Dann fragte er mit gedämpfter Stimme erneut nach Kathrin.
»Nein, keiner hat sie gesehen. Aber ich habe den Eindruck, die Typen wissen wirklich nicht, wo sie ist. Es hat viel Aufregung deswegen gegeben. Die haben die ganze Nacht lang gesucht; dieser Paul war fuchsteufelswild, wobei ich nicht weiß, ob die Wut dir und Andrea oder Kathrin galt. Er hat seine Leute zusammengeschissen, so was habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Nicht einmal beim Bund.«
»Du meinst, die haben gar nichts damit zu tun?«
»Ich kann mich täuschen, aber so aufgeregt wie die waren, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie ihr etwas angetan haben ...«
»Was soll denn sonst mit ihr sein? Kathrin würde nie alleine weglaufen.«
Tom, der beim leisen Sprechen auf den Boden schaute, wartete auf eine Antwort, doch als er keine bekam, wandte er den Kopf in Michaels Richtung. Der starrte nach unten.
»Ich glaube das zwar nicht, aber ...«, hob er flüsternd an.
»Nun red’ schon!«, fluchte Tom.
»Schschschscht!«
Doch keiner der Soldaten hatte sie gehört.
Michael fuhr fort: »Die Guides haben uns etwas Absurdes erzählt ...«
Ein ungutes Gefühl machte sich in Tom breit.
»Die Geister der Mondberge ... Sie nehmen manchmal einfach jemanden mit.«
Wieder wandte Tom Michael das Gesicht zu. »Das ist nicht dein Ernst, oder? Die Geister der Mondberge? Die gibt es nicht!«
»Und wenn doch?«, meinte Michael. »Kathrin ist weg. Und offenbar weiß keiner, wo sie ist.«
»Die Guides glauben das?« Vorsichtig blickte Tom zu ihnen rüber.
»Die halten das durchaus für möglich ... besonders Nzanzu.«
Fassungslos fixierte Tom Steve und Nzanzu. Jetzt erst fiel Tom auf, dass Peter nicht bei ihnen saß.
»Wo ist Peter?«
Wieder folgte Schweigen, doch bevor Tom laut werden konnte, räusperte sich Michael.
»Das ist das nächste Problem ... Er ist ebenfalls weg.«
»Scheiße!«
26
Im Tal, sechs Tage vor dem Fest
Kambere hatte sich von seiner Mutter verabschiedet, seine Geschwister zum Abschied geküsst, seinem Vater ehrfurchtsvoll die Hand gereicht. Sein bester Freund Baluku war bei ihm, genauso wie die anderen sechs Jungen, alle zwischen sieben und fünfzehn Jahren alt. Nur Kakule musste zurückbleiben – er war mit seinen vier Jahren einfach noch zu klein. Mbusa und Kathya führten die Gruppe als Lehrer an. Die Männer des letzten Beschneidungsritus waren verantwortlich für die Betreuung der neuen Generation – so schrieb es die Tradition vor.
Während sich das ganze Dorf auf die anstehende Beschneidungsfeier vorbereitete, verbrachten Kambere und die anderen Jungen die Tage im Wald. Sie legten ein kleines Lager an, in dem jeder Junge seine eigene Hütte hatte. Ihre Lehrer zeigten ihnen, wie sie sich allein durchschlugen, trainierten sie in Selbstverteidigung und bereiteten sie auf das Leben als volle Mitglieder des Clans vor. Nach diesen Tagen würden sie gemeinsam ins Dorf zurückkehren und die Beschneidung erfahren.
Als Kambere an diesem Morgen aus seiner Hütte trat, kam Mbusa auf ihn zu. Er trug ein traditionelles Tuch um die Hüften, das aus der Rinde des Mutuba-Feigenbaumes gefertigt war. Kraftvolle Muskeln zeichneten sich unter der fast schwarzen Haut seines nackten Oberkörpers ab. Ein
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