Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
nur glücklich, bei ihr zu sein. Wie sehr hatte sie Carole und ihre gemeinsamen Unternehmungen vermisst, bei denen sie früher so viel gelacht hatten. In diesem Moment fragte sich Amber, wann sie zum letzten Mal herzhaft gelacht hatte und kam zu einem niederschmetternden Ergebnis. Gealach erstickte jedes Lachen.
„Du glaubst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, Amber“, sagte Carole heiser, rümpfte die Nase und nieste. „Dieser verdammte Heuschnupfen“, schimpfte sie und schniefte.
Amber tätschelte tröstend Caroles Arm. „Noch immer so schlimm?“
„Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer.“
Während die Freundin sich schnäuzte, erkannte Amber im Rückspiegel, wie Charles’ Lippen die Worte ,Ich habe dich auch vermisst᾽ formten. Es war wie damals, als sie sich kennengelernt hatten und er ihr in der Metro ein ,Ich liebe dich᾽ und ,Ich begehre dich᾽ stumm mitgeteilt hatte. Das schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Amber sah zum Fenster hinaus. Jedes Detail der vertrauten Stadt sog sie auf wie ein Schwamm.
Londons Straßen waren durch den Ferienverkehr verstopft, als würden alle Bewohner fluchtartig die Stadt verlassen. Früher waren Dad, Kevin und sie in den Ferien immer nach Brighton gefahren, während ihre Mutter allein zu Hause geblieben war, weil sie ungern verreiste.
Sie kamen nur langsam voran. Dennoch verging die Zeit wie im Flug. Carole redete pausenlos, was Amber begrüßte, weil sie nicht über Gealach sprechen mochte. Sie wollte für kurze Zeit nicht daran denken, selbst wenn sie Aidan bereits vermisste. Die Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte lenkten sie ab. Carole erzählte auf humorvolle Art und brachte sie mehrmals zum Lachen. Amber fühlte sich wie befreit. Sie wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. Es war die richtige Entscheidung, hierher zu kommen, selbst wenn sie noch immer das schlechte Gewissen Aidans wegen drückte.
Je weiter sie sich Glastonbury näherten, desto unruhiger wurde sie. Als sie das Tor passierten, den konischen Hügel mit den Ruinen, spürte sie eine Anziehungskraft, wie sie es nur von Clava Cairn kannte. Mit dem Unterschied, dass auf dem schottischen Hügel eine bedrückende Atmosphäre lastete, eine Aura von Gefahr, die in Glastonbury nicht existierte. Dennoch schien die Vergangenheit gegenwärtig zu sein, nicht allein durch die Ruinen, sondern auch der viktorianischen Häuser wegen mit dem unverwechselbaren Flair von Gediegenheit, Beschaulichkeit und Geschichte. Amber glaubte, das Lachen ihrer Mutter zu hören, als ob sie neben ihr stünde. Eine warme, männliche Stimme feuerte sie beim Tanz an. Hier fühlte sie sich ihren Eltern nah. Sie war jetzt umso überzeugter, die richtige Entscheidung mit der Reise getroffen zu haben.
Carole hatte ihnen ein Quartier in der Nähe der Ruinen besorgt, eine kleine Pension, die Charles’ Großonkel gehörte. Mit ihrem Ex-Freund unter einem Dach zu schlafen, missfiel Amber, nicht nur wegen Aidan, sondern weil sie lieber auf Distanz gehen wollte. Charles brauchte immer eine Frau an seiner Seite. Wahrscheinlich glaubte er, nur mit dem Finger schnippen zu müssen, bis sie ihm wieder in die Arme sank. So wie früher. Da hatte er sich geschnitten.
Was grübelte sie noch über Charles? Sie sollte sich lieber auf ihre Recherchen konzentrieren. Glastonbury kam ihr seltsam vertraut vor, als wäre sie schon einmal hier gewesen. Bestimmt hatte sie es in einer Vision gesehen. Manchmal wusste sie nicht zu unterscheiden, ob es sich bei dem, was sie erlebte, um eine Vision handelte oder Realität, denn die Grenzen schienen immer mehr zu verwischen.
„Willst du nicht deinen Koffer auspacken?“ Carole stieß sie lächelnd in die Seite.
Amber begriff, dass sie, seit sie das Zimmer betreten hatte, vor dem geöffneten Koffer stand und vor sich hinstarrte. „Ich war ganz in Gedanken.“
„Das habe ich bemerkt. Bist du traurig, weil dein Freund nicht mitgekommen ist?“
Als Begründung hatte Amber Carole erzählt, dass Aidan wegen der Destillerie kaum Zeit hatte. „Auch, aber am meisten beschäftigen mich die Recherchen. Ich habe das Gefühl, als wäre ich schon einmal hier gewesen, obwohl das nicht sein kann. Auch nicht mit Charles.“
„Vielleicht gibt es ja so was wie ein genetisches Gedächtnis?“
„Du meinst, ich könnte die Erinnerungen meiner Mutter oder meines Vaters geerbt haben? Klingt weit hergeholt.“ Wenn du wüsstest, Carole, was es so alles gibt und was ich selbst erlebt habe, du würdest in Ohnmacht
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