Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
Nicht selten spalteten sie mit den Äxten die Schädel ihrer Gegner oder hieben sie den Widersachern in den Leib. Blut floss in Strömen, die Schreie der Sterbenden gingen Amber durch Mark und Bein. Trotz aller Brutalität konnte sie den Blick nicht abwenden. Wer waren diese Männer und was war das für eine Schlacht? Sie erinnerte sich nicht, dass Glastonbury ein Ort der Schlacht gewesen war. Sie trat näher an den Spiegel heran und streckte die Hand mit der Fibel aus. Vielleicht würden die schrecklichen Bilder erlöschen, wenn sie die Oberfläche berührte. Doch anstelle der erwarteten Glasfläche fasste sie hindurch. Das Glas fühlte sich wie Gel an. Sie spürte einen Luftzug, als befände sie sich im Freien. Der Geruch von frischem Blut und Rauch stieg ihr in die Nase. Der Spiegel zeigte nicht nur Bilder, sondern musste ein Zeitfenster sein, das sich mithilfe der Fibel geöffnet hatte. Anders konnte sie sich das nicht erklären. Anhand der Kleidung der Kämpfenden tippte sie auf frühes Mittelalter. In Gedanken versunken erkannte sie zu spät, dass die Hünen auf sie zurannten. Blitzschnell zog sie ihre Hand zurück. Eine Axt schwirrte durch die Luft. Nur um Haaresbreite verfehlte die Klinge ihre Hand. Die rotblonden Recken töteten gnadenlos alle, die sich ihnen in den Weg stellten. Amber empfand Mitleid mit den unterlegenen Gegnern, die nun mit dem Schwert in der Hand flohen, verfolgt vom Gelächter ihrer Feinde.
Es war ihr weder möglich, den Blick abzuwenden noch sich umzudrehen. Ihre Hand zitterte von den Vibrationen der Fibel. Ihre Versuche, die Finger von dem Schmuckstück zu lösen, scheiterten, als wären sie miteinander verwachsen. So musste sie das Geschehen weiterverfolgen, gleichgültig, ob es ihr widerstrebte. Gleichzeitig trieb Neugier sie, mehr zu erfahren.
Die Hünen stiegen über die Leichen ihrer Gegner, die über das Schlachtfeld verteilt waren. Pferde mit aufgeschlitzten Leibern, umgestürzte Wagen mit gebrochenen Rädern und Achsen vervollständigten den Anblick des Grauens. Amber erkannte Mauern dick wie zwei Männer und berührte ihre raue Oberfläche. Im selben Augenblick erschrak sie, als sie erkannte, dass sie tatsächlich dicht davor stand. Als sie auf die Fibel hinabsah, kannte sie die Antwort. Wenn sie in diese Zeit eintauchen konnte, dann wäre es ihr vielleicht auch möglich, ihren Vater kennenzulernen. Hatte er deshalb ihrer Mutter die Fibel geschenkt? Doch die Angst, nicht mehr in die Gegenwart zurückkehren zu können, ließ sie erschaudern. Einerseits drängte es sie, die Mauer zu umranden und alles zu erkunden, andererseits wollte sie in ihre Zeit zurück. Ihr Blick suchte nach einem Ausgang, vielleicht etwas, das dem Spiegelrahmen glich. Aber sie sah nichts. Hinter den Mauern hörte sie Frauen und Kinder schreien. Nicht auszudenken, was ihr geschehen könnte, würden die Hünen sie finden. Sie musste so schnell wie möglich diese Zeit verlassen. Während sie über eine Lösung nachgrübelte, rieb ihr Daumen über die Fibel, die erneut zu vibrieren begann. Allmählich erkannte Amber in der Luft einen Umriss, nur schemenhaft, aber dem des Spiegelrahmens entsprechend. Je fester ihr Finger über das Metall rieb, desto klarer zeichnete sich die Kontur ab. Mit einem Satz sprang sie durch den Rahmen und landete zu ihrer Erleichterung im Zimmer.
Ihr Herz pochte vor Aufregung, als sie auf den Bettrand sank. War vielleicht jeder Spiegel ein Zeittor? Sie musste es probieren. Voller Ungeduld fingerte sie aus ihrer Handtasche einen Handspiegel. Doch der Versuch, ihn mithilfe der Fibel für einen Durchgang zu öffnen, scheiterte. Es konnte also an dem Symbol liegen, das beide trugen.
Amber erinnerte sich, dass sie die Fibel bei sich getragen hatte, als ihr William MacFarlane zum ersten Mal als Kind in Samuels Spiegel erschienen war. Es existierte irgendeine Verbindung zwischen ihrem Vater, Revenant und diesem Symbol. Sie spürte, dass es ein Wink ihres Vaters war, vielleicht mehr über die Geschichte Revenants zu erfahren. Diese Gedanken ließen sie die ganze Nacht nicht mehr los. Unruhig warf sie sich von einer Seite auf die andere. Sie würde diesem Geheimnis auf die Spur kommen.
9
A idan spürte die Anzeichen der eintretenden Starre und zog sich dieses Mal nicht in den Turm zurück, sondern legte sich aufs Bett, auf Ambers Hälfte, wo er sich ihr nahe fühlte. In der vergangenen Nacht hatte er viel Blut getrunken, um genügend Kraft zu tanken, weil er ihretwegen keine Reise in
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