Monde der Finsternis 03 - Mond der Ewigkeit
in der Welt der Sterblichen keinen Sinn. Es wäre leer, ohne einen Funken Hoffnung, der seine menschliche Hälfte erhellte. Aidan glaubte, noch einmal zu sterben. „Warum sagst du nicht auch mal was?“, fragte sie leise.
Aidan fühlte eine Taubheit in sich, die jegliches Denken und Empfinden erstickte. „Du hast alles gesagt. Ich bin so, wie ich bin, ein Vampir, unbeherrscht, gierig und besitzergreifend. Eine Bestie. Das Leben mit mir ist die Hölle. Es ist besser, wenn wir uns trennen. Mein Platz ist in der Schattenwelt, das habe ich begriffen. Lebe wohl, Amber.“
Aidan wandte sich um und lief zur Treppe. Auf der ersten Stufe blieb er stehen, weil der Schmerz ihn überwältigte. Er schloss die Augen und kniff die Lippen zusammen, froh, dass sie es nicht sehen konnte. Tief in seinem Inneren hoffte er, sie würde ihn mit einem Wort zurückhalten. Enttäuscht stieg er die Stufen empor, als sie nicht reagierte. Es war vorbei. Für immer.
Amber sah Aidan hinterher, während sie mühsam um Fassung rang. Obwohl ihr Herz empfahl, ihm nachzulaufen, hielt sie sich zurück, denn es war die richtige Entscheidung, sich von ihm zu trennen.
Als er sie neulich im Zorn zu dem Kuss gezwungen hatte, war etwas in ihr zerbrochen. Ihre Finger fuhren über die Lippe, die nun eine Narbe zierte. Was würde als Nächstes folgen? Dass er ihr die Kehle zerfetzte in seiner Rage? Oder jemanden aus Eifersucht umbrachte? Auch sie hatte ihm Schmerzen zugefügt, das hatte sie jeden Tag aufs Neue gequält. Aber anders hätte sie sich gegen seine Grobheit nicht zur Wehr setzen können. Das I-Tüpfelchen war das Zerstören des Spiegels, was all ihre Hoffnungen, ihren Vater wiederzusehen, zerschlug. Ihr Leben lag in Scherben zerbrochen zu ihren Füßen. Auf einen Schlag war nichts mehr so, wie es war. Sie hatte alles verloren.
Sie sank auf eine der Stufen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Als sie den Schmerz in seinen Augen gelesen hatte, zerriss es ihr das Herz. Ihr fielen zig Gründe ein, die für eine Trennung sprachen, dennoch liebte sie ihn mit jeder Faser ihres Herzens, bis zu ihrem Tod. Sie schluchzte. Wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte, war eingetreten. Die Trennung trieb Aidan in die Arme Revenants. Wenn er in die Schattenwelt ginge, wäre er für immer verloren. Seine Seele würde ein Teil der Finsternis werden. Wenn es ihr gelänge, die Schattenwelt für alle Zeit zu verschließen, besiegelte sie nicht nur Revenants, sondern auch seine Vernichtung. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass es Aidan nicht mehr geben würde. Das ließ sie verzweifeln. Sie konnte nicht ohne ihn leben.
„Nein!“, rief sie und rannte die Treppe hinauf. „Aidan!“
Sie lief durch die Räume und hinaus in den Schlosshof, aber sie wusste, dass es vergeblich war, und er nicht zurückkommen würde.
Von Trauer erfüllt rannte sie ins Schloss zurück.
20
A m nächsten Tag meldete Amber sich bei Munro krank. Es war ihr egal, ob sie deshalb ihre Rolle verlor. Sie musste etwas unternehmen, wenn sie nicht verrückt werden wollte. Verrückt vor Sehnsucht nach Aidan. Sie fuhr nach Inverness und kaufte sich eine Kette für die Fibel, die sie von nun an immer tragen wollte, zur Erinnerung an ihren Vater.
Auf dem Weg dorthin drehten sich ihre Gedanken nur noch um Aidan. Es war vorbei! Wenn ihr Verstand es auch begriff, ihr Herz spielte nicht mit. Er würde Revenant folgen, die Schattenwelt betreten, allein deswegen, um sich weit genug von ihr zu distanzieren. Dennoch durfte sie nicht nur in ihrer Trauer baden, denn diese Welt schwebte in Gefahr, noch mehr durch Aidan. Der Warrior an Revenants Seite würde gnadenlos töten, wenn die Finsternis ihn vereinnahmt hatte.
Alles erschien hoffnungslos. Nicht nur, dass sie ihre große Liebe für immer verloren hatte, sie hatte auch keine Lösung parat, wie sie das drohende Unheil stoppen sollte. In zwei Tagen war Beltane, wenig Zeit, um viel zu bewirken. Aber sie würde alles daran setzen, eine Invasion der Schattenwelt zu verhindern, selbst wenn es sie das Leben kostete. Hermit hätte ihr Mut und Trost zugesprochen.
Wenn sie noch einmal durch den Spiegel träte, wäre es möglich, dass ihr Vater bereits tot war. Wie gern hätte sie noch ein wenig Zeit mit ihm verbracht, um ihn näher kennenzulernen.
Nachdem Amber aus Inverness zurückgekehrt war, lief sie ziellos durch den Glenn. Unbewusst lenkten ihre Füße sie zum Hügel. Sie rannte den Pfad hinauf, in der Hoffnung, er würde dort sein.
Weitere Kostenlose Bücher