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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einer flachen Abwasserpfütze wuschen eine Gruppe Jungen und Männer die schwarzen Flanken eines schlafenden Ochsen. Irgendwo in der dichten Aneinanderreihung baufälliger Hütten spielte lautstark ein batteriebetriebenes Kofferradio. Die Musik schwoll zu einem Crescendo gezupfter Saiten an, das Baedeckers zunehmende Angst widerspiegelte. Dreißig oder vierzig Menschen folgten ihm jetzt, ausgemergelte, wütende Männer hatten die Kinder fast völlig verdrängt.
    Ein Mann mit einem roten Tuch um den Kopf kreischte laut etwas in einer Sprache, die Baedecker für Hindi oder Bengali hielt. Als Baedecker den Kopf schüttelte, um anzudeuten, dass er nicht verstand, versperrte ihm der Mann den Weg, fuchtelte mit den Armen und brüllte noch lauter. Einige Ausdrücke wurden von anderen Männern in der Menge wiederholt.
    Schon viel früher hatte Baedecker einen kleinen, aber schweren Stein aufgehoben. Nun steckte er die Hand beiläufig in die Tasche seines Safarihemds und umfasste diesen Stein. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, Ruhe senkte sich über ihn.
    Plötzlich ertönte ein Schrei von einer Seite, die Kinder stoben davon, die Menge überließ Baedecker sich selbst und lief eine Nebenstraße hinab. Selbst der Mann mit dem roten Tuch um den Kopf warf ihm zum Abschied nur noch eine Silbe hin und entfernte sich rasch. Baedecker wartete eine Minute, dann schlenderte er hinter ihnen her, einen schlammigen Pfad zum Flussufer hinab.
    Eine Menschenmenge hatte sich um etwas versammelt, das am Uferschlamm angespült worden war. Zuerst hielt Baedecker es für einen ausgebleichten Baumstumpf, aber dann gewahrte er die schreckliche Symmetrie und erkannte es als menschlichen Leichnam. Er war weiß – weißer als ein Albino, weißer als ein Fischbauch – und von Gasen zu doppelter Größe aufgebläht. Schwarze Löcher schienen aus der aufgedunsenen Masse zu starren, die einmal ein Gesicht gewesen war. Mehrere Kinder, die Baedecker gefolgt waren, hockten jetzt neben diesem Ding und strichen schrill kichernd mit den Händen darüber. Die Beschaffenheit erinnerte Baedecker an einen riesigen weißen Pilz, der in der Sonne verfaulte. Fleischfetzen fielen nach innen oder lösten sich, während die Jungen daran herumstocherten und kicherten.
    Schließlich traten einige der Männer näher und bohrten spitze Stöcke in den Leichnam. Sie wichen zurück, als mit vernehmlichem Zischen Gas entwich. Die Menge lachte. Mütter, die Kleinkinder auf den Hüften trugen, drängten nach vorne.
    Baedecker zog sich zurück, schlich hastig eine Gasse entlang, bog, ohne nachzudenken, nach rechts ab und stand plötzlich auf einer gepflasterten Straße. Eine Straßenbahn, die unter der Last der sich überall festklammernden Passagiere schwankte, kam angefahren. Zwei Rikschakulis, die übergewichtige indische Geschäftsleute zum Essen nach Hause fuhren, sausten vorbei. Baedecker verharrte einen Moment mitten im Verkehrsstrom, dann winkte er einem vorbeifahrenden Taxi.  
    »Wie geht es dir, Richard?«
    »Großartig, Liebling. Ich hab in den nächsten Tagen nicht viel zu tun. Tom Gavin hat den größten Teil der Arbeit erledigt und sich richtig gut um uns gekümmert. Dave und ich schicken ihn in ein paar Stunden raus, damit er die Filmdosen einsammelt. Wie ist es zu Hause?«
    »Einfach toll. Wir haben gestern den Start vom Mond in der Flugkontrolle mitverfolgt. Du hast uns gar nicht gesagt, dass es so schnell in die Höhe geht.«
    »Ja. Eine irre Fahrt.«
    » … möchte … ein paar … «
    »Entschuldigung. Bitte wiederholen. Das hab ich nicht mitbekommen.«
    »Ich sagte, Scott möchte gerne mit dir reden.«
    »Okay … prima! Stell ihn durch.«
    »Gut. Bis bald, Richard. Wir freuen uns schon riesig auf Dienstag, wenn du wieder da bist. Tschüs!«
    »Hi, Dad!«
    »Hi, Scott!«
    »Du hast im Fernsehen echt super ausgesehen. Hast du wirklich einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt, wie sie gesagt haben?«
    »Äh … für Bodengeschwindigkeit … für die Fahrt auf dem Mond, ja, das haben wir wohl, Scott. Aber Dave ist gefahren. Ich denke, der Rekord geht auf sein Konto.«
    »Oh.«
    »Na, Tiger, wir müssen wieder an die Arbeit. War schön, mit dir zu reden.«
    »Hey, Dad.«
    »Äh … roger, Scott … «
    »Ich kann euch alle drei auf dem großen Bildschirm hier erkennen. Wer steuert eigentlich das Kommandomodul?«
    »Äh … das ist eine gute Frage, oder nicht, Tom? Ich schätze, Scott … ich schätze, in den nächsten paar Tagen … äh … übernimmt

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