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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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betreten, bemerkte Baedecker, wie gerade die hageren Schultern waren, wie das Sonnenlicht auf dem Haar seines Sohns glänzte.
    Am Montagmorgen fuhr Baedecker mit dem Zug, der Deccan Queen, die hundertsechzig Kilometer aus den Bergen zurück nach Bombay. Sein Flug nach London hatte drei Stunden Verspätung. Die Hitze war gewaltig. Baedecker stellte fest, dass die alten Wachmänner am Flughafen uralte Schlagbolzenflinten hatten und lediglich Sandalen über den gestopften Socken trugen.
    Am Morgen war er durch das alte britische Viertel von Poona gestreift, bis er das Haus des Arztes fand, wo Maggie arbeitete. Miss Brown war mit den Kindern zum Pavillon gegangen – vielleicht wollte er eine Nachricht hinterlassen? Er hinterließ keine Nachricht. Nur das schlicht verpackte Päckchen mit der Flöte, die er in Varanasi gekauft hatte. Die Flöte und das alte Christophorusmedaillon an seiner abgenutzten Kette.
    Gegen achtzehn Uhr begab er sich an Bord, und das brachte sofort spürbare Erleichterung. Eine nötige Wartung sorgte für weitere Verspätung, aber die Stewardessen servierten Drinks, und die Klimaanlage funktionierte. Baedecker blätterte in einer Ausgabe von Scientific American, die er am Bahnhof Victoria Station gekauft hatte.
    Er döste noch eine Weile vor dem Start. In seinem Traum lernte er gerade schwimmen und trieb leicht über den klaren weißen Sand auf dem Grund des Sees. Er konnte seinen Vater nicht sehen, spürte aber den kräftigen Druck von dessen Armen, die ihn stützten und von gefährlichen Strömungen fernhielten.
    Er erwachte, als sie gerade starteten. Zehn Minuten später befanden sie sich schon über dem Arabischen Meer und stießen durch die Wolkendecke. Es war das erste Mal seit drei Wochen, dass Baedecker einen klaren, blauen Himmel erblickte. Die untergehende Sonne verwandelte die Wolken unter ihnen in einen See aus goldenem Feuer.
    Als sie ihre Flughöhe erreicht hatten und den Scheitel des Bogens passierten, verspürte Baedecker ein leichtes Nachlassen der Schwerkraft. Er schaute zu dem zerkratzten Fenster hinaus und suchte vergebens nach dem Mond. Baedecker empfand ein flüchtiges Hochgefühl. Hier oben in der dünnen Luft schien die fordernde Schwerkraft des Planeten ein wenig – eine Winzigkeit – geringer.

ZWEITER TEIL
     
     
     
    GLEN OAK
     
     
     

Z weiundvierzig Jahre, nachdem er weggezogen war, dreißig Jahre nach seinem letzten Besuch, sechzehn Jahre nach seiner Woche Ruhm, als er auf dem Mond spazieren gegangen war, wurde Richard Baedecker eingeladen, seiner Heimatstadt wieder einmal einen Besuch abzustatten. Er sollte Ehrengast beim Old-Settlers-Wochenende und der Parade sein. Der 8. August sollte in Glen Oak, Illinois zum »Richard M. Baedecker«-Tag erklärt werden.
    Baedeckers mittlere Initiale war nicht M. Sein zweiter Vorname lautete Edgar. Und er betrachtete das kleine Dorf in Illinois auch nicht als seine Heimatstadt. Wenn er an das Zuhause seiner Kindheit dachte, was selten vorkam, erinnerte er sich für gewöhnlich an das kleine Apartment in der Kildare Street in Chicago, wo seine Familie die Jahre vor und nach dem Krieg verbracht hatte. Nicht einmal drei Jahre, von Ende 1942 bis Mai 1945, hatte Baedecker in Glen Oak gelebt. Die Familie seiner Mutter hatte dort lange Zeit Land besessen, und als Baedeckers Vater wieder dem Marine-Korps beigetreten war, wo er für diese drei Jahre als Ausbilder in Camp Pendl eton diente, sahen sich der siebenjährige Richard Baedecker und seine beiden Schwestern auf unerklärliche Weise aus ihrer behaglichen Wohnung in Chicago in ein zugiges altes Mietshaus in Glen Oak versetzt.
    Baedeckers Erinnerungen an diese Zeit waren verschwommen und zusammenhanglos – wenn er beispielsweise nur an die verrückten Beutezüge nach Papier und Altmetall dachte, die sämtliche Wochenenden während ihres gesamten Aufenthalts dort in Anspruch zu nehmen schienen. Obwohl seine Eltern tatsächlich außerhalb von Glen Oak begraben waren, hatte er die Stadt schon seit ewigen Zeiten nicht mehr besucht und keinen Gedanken an sie verschwendet.
    Die Einladung erreichte ihn Ende Mai, kurz bevor er sich auf eine einmonatige Geschäftsreise begab, die ihn durch drei Kontinente führte. Er heftete den Brief ab und hätte ihn vergessen, wenn er ihn nicht gegenüber Cole Prescott erwähnt hätte, dem Vizepräsidenten des Flugzeugkonzerns, für den er arbeitete.
    »Verdammt, Dick, warum fahren Sie nicht hin? Das wäre eine gute Werbung für die Firma.«
    »Sie

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