Monde
machen Witze«, sagte Baedecker. Sie saßen in einer Bar am Lindbergh Boulevard nahe beim Büro in einem Vorort von St. Louis. »Damals, während des Krieges, als ich in diesem kleinen Kaff gelebt habe, hatten sie ein Schild: 850 Einwohner – Elektronische Geschwindigkeitskontrollen. Ich bezweifle, dass der Ort seither nennenswert gewachsen ist. Wenn überhaupt, ist die Bevölkerungszahl wahrscheinlich gesunken. Dort sind bestimmt nicht viele Leute daran interessiert, MD-GSS-Avionik zu kaufen.«
»Aber sie kaufen Aktien, oder?«, fragte Prescott und warf sich eine Handvoll gesalzene Erdnüsse in den Mund.
»Nur Vieh«, sagte Baedecker.
»Wo, zum Teufel, liegt dieses Glen Oak überhaupt?«, fragte Prescott.
Es war Jahre her, seit Baedecker jemanden den Namen der Stadt hatte aussprechen hören. Er klang seltsam in seinen Ohren. »Fast dreihundert Kilometer von hier entfernt, Luftlinie«, sagte er. »Irgendwo zwischen Peoria und Moline.«
»Scheiße, ist ja nur ein Katzensprung. Das sind Sie ihnen schuldig, Dick.«
»Zu beschäftigt«, sagte Baedecker, winkte dem Barkeeper und bestellte einen dritten Scotch. »Muss nach den Konferenzen in Bombay und Frankfurt viel nachholen.«
»Hey«, sagte Prescott. Er hatte eine Kellnerin beobachtet, die sich bückte, um einem jungen Paar an einem der Nachbartische zu servieren, und drehte sich nun um. »Fängt am neunten August nicht diese Flugverkehrskonferenz im Hyatt in Chicago an? Turner hat Sie dafür eingeteilt, richtig?«
»Nein. Das war Wally. Seretti wird von Rockwell aus hinfahren, und wir werden mit Borman über den Vertrag zur Modifikation des Airbus sprechen.«
»Na also!«, sagte Prescott.
»Also was?«
»Also müssen Sie sowieso in diese Richtung. Erfüllen Sie Ihre patriotische Pflicht, Dick. Ich lasse Teresa einen Brief schreiben, dass Sie kommen.«
»Wir werden sehen«, sagte Baedecker.
Baedecker flog am Nachmittag des 7. August, einem Freitag, nach Peoria. Die Ozark DC-9 hatte kaum Zeit, auf zweieinhalbtausend Meter Höhe zu gehen und dem mäandernden Lauf des Illinois River zu folgen, als sie auch schon wieder zur Landung ansetzten. Der Flughafen war so winzig und menschenleer, dass Baedecker kurz an die Asphaltlandebahn am Rand des indischen Dschungels denken musste, wo er vor einigen Wochen in Khajuraho gelandet war. Dann stieg er die Treppe hinunter, überquerte den heiß en Teerbelag und wurde überschwä nglich von einem feisten Mann mit rosigem Gesicht begrüßt, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
Baedecker stöhnte innerlich. Er hatte vorgehabt, ein Auto zu mieten, die Nacht in Peoria zu verbringen und am Morgen nach Glen Oak zu fahren. Unterwegs hätte er noch gerne am Friedhof angehalten.
»Mr. Baedecker! Mr. Baedecker! Meine Güte, willkommen, willkommen. Wir freuen uns so, Sie zu sehn.« Der Mann war allein. Baedecker musste die alte schwarze Reisetasche fallen lassen, als der Fremde seine Hand und den Unterarm zu einem zweihändigen Gruß packte. »Tut mir wirklich leid, dass wir keinen besseren Empfang zustande gebracht haben hier, aber wir haben erst durch den Anruf bei Marge erfahren, dass Sie schon heute ankommen.«
»Das macht doch nichts«, sagte Baedecker. Er zog die Hand zurück und f ü gte unnötigerweise hinzu: »Ich bin Richard Baedecker.«
»O ja, meine Güte. Ich bin Bill Ackroyd. Bürgermeisterin Seaton war ja gern selber angetreten, aber sie muss heute Abend das Fischerfest der Old Settlers ’ Jaycees eröffnen.«
»Glen Oak hat eine Bürgermeisterin?« Baedecker warf sich die Reisetasche wieder über die Schulter und wischte sich eine Schweißperle von der Wange. Hitzeflimmern stieg rings um sie herum auf und verwandelte die fernen Mauern des Laubs und den halb sichtbaren Parkplatz in flimmernde Trugbilder. Die Luftfeuchtigkeit war genauso hoch wie in St. Louis. Baedecker betrachtete den großen Mann neben sich. Bill Ackroyd war Ende vierzig oder Anfang fünfzig. Er hatte Fett angesetzt; der Rücken seines J. C. Penney-Hemds war bereits nassgeschwitzt. Das Haar trug er nach vorn gekämmt, um die zunehmende Kahlheit zu verbergen. Er sieht aus wie ich , dachte Baedecker und verspürte Ärger in sich aufkeimen. Ackroyd grinste, und Baedecker lächelte zurück.
Baedecker folgte ihm durch die winzige Schalterhalle zu der halbkreisförmigen Zufahrt, wo Ackroyd seinen Wagen auf einem Behindertenparkplatz abgestellt hatte. Der Mann überschwemmte ihn mit einem liebenswürdigen Strom belangloser Nichtigkeiten, der in
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