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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Verbindung mit der Hitze eine nicht unangenehme Übelkeit in Baedecker auslöste. Ackroyd fuhr einen Bonneville. Der Motor war die ganze Zeit gelaufen, die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren und erzeugte eine ungesunde Kälte im Wageninneren. Baedecker ließ sich seufzend in die Samtschonbezüge sinken, während der andere Mann sein Gepäck im Kofferraum verstaute.
    »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was das für uns alle bedeutet«, sagte Ackroyd, während er sich setzte. »Die ganze Stadt ist aufgeregt. Das ist das Größte für Glen Oak, seit Jesse James durch die Stadt geritten ist und am Hartley ’ s Pond sein Lager aufgeschlagen hat.« Ackroyd lachte und legte den Gang ein. Seine Hände waren so groß, dass Lenkrad und Schalthebel daneben Spielzeugen glichen. Baedecker stellte sich vor, wie Ackroyds Vorfahren im Mittelwesten mit ihren großen, groben Händen Banditen aufgeknüpft hatten.
    »Ich wusste nicht, dass Jesse James ’ Bande je durch Glen Oak gekommen ist«, sagte Baedecker.
    »Wahrscheinlich war’ s auch nicht so«, sagte Ackroyd und lachte sein polterndes, ungekünsteltes Lachen. »Damit wären Sie dann das Aufregendste, was uns je widerfahren ist.«  
    Peoria sah aus, als wäre es verlassen oder ausgebombt worden. Oder beides. Staub und tote Fliegen lagen in den Schaufenstern. Aus Ritzen im Straßenbelag wucherte Gras, und Unkraut wuchs auf dem ungepflegten Mittelstreifen. Alte Häuser neigten sich einander zu, und die wenigen neuen Gebäude erinnerten an zu groß geratene Druidenaltäre inmitten von dem Erdboden gleichgemachten Gesteinstrümmern.
    »Mein Gott«, murmelte Baedecker, »ich kann mich nicht erinnern, dass die Stadt früher schon so aussah.« Eigentlich konnte sich Baedecker ohnehin kaum noch an Peoria erinnern. Einmal im Jahr hatte seine Mutter die Kinder mit in die Stadt genommen, damit sie die Thanksgiving-Parade bestaunen und dem Nikolaus winken konnten. Baedecker war zu alt für den Weihnachtsmann gewesen, hatte sich aber dennoch mit seinen jüngeren Schwestern auf die Steinlöwen beim Gerichtsgebäude gesetzt und pflichtschuldig gewinkt. In einem Jahr war der Nikolaus in einem Jeep eingetroffen, und die Elfen trugen die Uniformen der vier Streitkräfte. Baedecker erinnerte sich, wie der Rasen des Stadtparks sanft zu dem verschnörkelten Pfefferkuchenhaus des Gerichtsgebäudes hin angestiegen war. Er hatte sich vorgestellt, dass er erschossen worden war, und sich den grasbewachsenen Hang hinunterrollen lassen, bis seine Mutter ihn anschrie, er solle damit aufhören. Nun fiel ihm auf, dass der Park – zumindest glaubte er, dass es sich um denselben Block handelte – in eine schlampig angelegte Kunstlandschaft vor dem Glaskasten eines Stadtverwaltungsgebäudes verwandelt worden war.
    »Reagans Rezession«, sagte Ackroyd. »Und davor Carters Rezession. Die gottverdammten Russen.«
    »Russen?« Baedecker lehnte sich zurück, halb in der Erwartung, gleich mit John-Birch-Propaganda zugeschüttet zu werden. Er glaubte sich zu erinnern, dass er gelesen hatte, George Wallace hätte 1968 bei den Vorwahlen in Peoria County kandidiert. 1968 hatte Baedecker als Mitglied des Teams von Apollo 8 sechzig Stunden im Simulator verbracht. Er hatte keinerlei Erinnerungen an das Jahr, abgesehen von den Terminen des Projekts. Im Januar 1969 war er dann aus seinem Kokon geschlüpft und hatte festgestellt, dass Bobby Kennedy tot war, dass Martin Luther King tot war, LBJ nur noch eine Erinnerung und Richard M. Nixon Präsident. In Baedeckers Büro in St. Louis, an der Wand über der Hausbar, hing zwischen zwei Ehrendoktorurkunden von Universitäten, die er nie besucht hatte, eine Fotografie von Nixon, der ihm während einer Feierlichkeit im Rose Garden die Hand schüttelte. Nixon grinste und entblößte dabei weiße Schneidezähne; mit einer Hand hielt er Baedeckers Ellbogen im selben Vertretergriff wie Ackroyd am Flughafen.
    »Aber eigentlich liegt’ s nicht an ihnen«, knurrte Ackroyd. »Die Firma Caterpillar ist schuld, weil die sich einfach darauf verlassen haben, dass sie ihnen mordsmäßig viel verkaufen würden. Nachdem Carter nach der Afghanistan-Geschichte oder was auch immer den Ausfuhrstop für schwere Maschinen verhängt hatte, gings bergab. Caterpillar, General Electric, sogar der Papst. Alles wurde ‘ ne Zeit lang auf Eis gelegt. Jetzt ist es wieder besser.«
    »Tja«, sagte Baedecker. Sein Kopf tat weh. Er konnte immer noch spüren, wie sich das Flugzeug über dem Fluss schräg

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