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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ist es Kinderkram, wissen Sie? In Wirklichkeit wäre ich gerne so was wie, na ja, Leadgitarrist bei einer Gruppe wie Twisted Sister.« Er verstummte und blickte Baedecker gelassen an.
    Baedecker konnte ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Er drückte die Schulter des Jungen kurz und fest. »Sehr gut. Gehen wir wieder nach oben, ja?«  
    Die Straßen waren dunkel, abgesehen von vereinzelten Lampen und dem blauen Flackern von Fernsehern hinter Fensterscheiben. Baedecker atmete den Duft von frisch gemähtem Gras und unsichtbaren Feldern ein. Die Sterne kamen nur zögernd heraus. Außer vereinzelten Autos, die auf der Asphaltstraße vorbeifuhren, bildete das gedämpfte, aber aufgeregte Plappern der verborgenen Fernseher die einzige Geräuschkulisse. Baedecker konnte sich noch an die Zeit erinnern, da hinter einigen dieser Fliegengitter und Fenster noch Transistorradios erklungen waren. Er fand, die Rundfunkstimmen hatten mehr Autorität und Tiefe gehabt.
    Glen Oak hatte nie viele Eichen besessen, aber in den Vierzigerjahren wuchsen hier eine Vielzahl von gigantischen Ulmen, unvorstellbar massive Bäume, deren grobschlächtige Gliedmaßen sich zu einem Baldachin aus Zweigen verschlangen, der selbst die breiteste Nebenstraße in einen Tunnel aus Licht und Schatten verwandelte. Diese Ulmen waren Glen Oak. Das war selbst dem zehnjährigen Jungen klar gewesen, der an einem Sommerabend hektisch auf seinem Fahrrad Richtung Stadt strampelte, wo ihn eine Oase aus Bäumen und das Samstagabendessen erwarteten.
    Jetzt waren die meisten Ulmen verschwunden. Baedecker vermutete, dass verschiedene Krankheiten sie hinweggerafft hatten. Die breiten Straßen waren zum Himmel hin offen. Kleinere Bäume dagegen gab es immer noch im Überfluss. In der schwachen Brise tanzten die Blätter vor den Straßenlaternen und warfen Schatten auf die Gehwege. Große alte Häuser standen ein gutes Stück von den Gehwegen entfernt, die Obergeschosse nach wie vor von sanft raschelndem Laub behütet. Aber die gigantischen Ulmen aus Baedeckers Kindheit waren nicht mehr da. Er fragte sich, ob ihr Fehlen auch anderen Menschen, die überall im Land in die Kleinstädte ihrer Kindheit zurückkehrten, auffiel. Wie der entschwundene Geruch brennenden Laubes im Herbst nagte auch dieser Verlust an seiner Generation.
    Die Fledermäuse tanzten und kreisten vor einem violetten Himmel. Einige wenige Sterne ließen sich nun doch sehen. Baedecker betrat einen Schulhof, der einen ganzen Block beanspruchte. Die riesige alte Grundschule, deren vernagelter Dachfirst ein Zuhause für die Vorfahren dieser nächtlichen Schar von Fledermäusen gewesen sein musste, war schon lange abgerissen und einer Ansammlung von Kästen aus Backstein und Glas gewichen, welche sich am Fuß eines größeren Kastens aus Backstein und Glas drängten, der wiederum den größten Teil des quadratischen Blocks für sich beanspruchte. Baedecker vermutete, dass es sich bei dem größeren Bau um die Turnhalle der Gesamtschule handelte. Zu seiner Zeit hatte die Grundschule keine eigene Turnhalle besessen; zum Turnen ging es zu Fuß zu der zwei Blocks entfernten Highschool. Baedecker erinnerte sich an die alte Schule als Mittelpunkt einer zwei Morgen großen Rasenfläche mit einem halben Dutzend Baseballfelder und zwei Spielplätzen – dem für Kleinkinder und dem mit einer hohen, dreistufigen Rutschbahn für die höheren Klassen. Jetzt beanspruchten die flachen Gebäude und die monströse Turnhalle fast den gesamten Platz für sich. Bäume gab es keine. Die Spielplätze beschränkten sich auf einen Streifen Asphalt und ein palisadenähnliches Gebilde inmitten einer Sandfläche. Baedecker schlenderte hinüber und hockte sich auf eine der untersten Ebenen des Dings. Es erinnerte stark an einen schlecht entworfenen Galgen.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite konnte er sein altes Haus erkennen. Selbst im spärlichen Licht der Dämmerung war auszumachen, dass wenig daran verändert worden war. Licht fiel aus den Panoramafenstern auf beiden Stockwerken. Anstelle der alten Schindelverschalung gab es nun eine gleichmäßige Verkleidung. Eine Garage und eine asphaltierte Zufahrt waren angebaut worden, wo sich einst die Schottereinfahrt zum Garten gewunden hatte. Baedecker vermutete, dass die Scheune hinter dem Haus nicht mehr existierte. Beim Gehweg wuchs eine hohe Birke, die früher nicht da gewesen war. Baedecker kramte eine Zeit lang in seiner Erinnerung und versuchte vergeblich, sich einen

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