Monde
Schössling an der Stelle vorzustellen. Dann ging ihm auf, dass sie gepflanzt worden sein konn te, nachdem er fortgezogen war – und immer noch vierzig Jahre alt wäre.
Baedecker verspürte keinerlei Nostalgie, lediglich ein schwaches Schwindelge fü hl des Staunens, dass so eine uralte Hülle aus Stein und Brettern in einem so fremden Teil der Welt einmal das Zuhause eines Jungen gewesen war, der sich als Mittelpunkt des Universums gefühlt hatte. In einem der Zimmer im ersten Stock wurde das Licht eingeschaltet. Baedecker konnte fast seine alte Tapete vor sich sehen, auf der Klipper in endlos wiederholte Quadrate aus Tau eingesperrt waren, jede Ecke von unmöglichen Seemannsknoten verstellt. Er erinnerte sich, wie er in fiebrigen Nächten wach lag und immer wieder vergeblich versuchte, diese Knoten im Geist zu entwirren. Und er erinnerte sich an die nackte Glühbirne, die an ihrer Kordel baumelte, den gelben Sarg von einem Schrank in der Ecke und die riesige Rand-McNally-Weltkarte an der Wand neben der Tür, wo er mit ernster Miene nächtens bunte Stecknadeln von einer unaussprechlichen Pazifikinsel zur nächsten gesteckt hatte.
Baedecker schüttelte den Kopf, stand auf und wandte sich nach Norden, weg von Schule und Haus. Die Nacht war endgültig hereingebrochen, aber die Sterne verbargen sich hinter tiefhängenden Wolken. Baedecker sah nicht noch einmal hinauf.
»He, Dick, wie war ’ s? Die alte Heimat besucht?«, rief Ack royd, als Baedecker über den Rasen zum Haus des Mannes schlenderte. Das Paar saß auf einer kleinen, abgeschirmten Veranda zwischen Haus und Garage.
»Ja. Es kühlt ziemlich angenehm ab, was? «
» Haben Sie jemanden getroffen, den Sie kennen?«
»Die Straßen waren völlig verlassen«, sagte Baedecker. »Aber ich konnte die Lichter der Old Settlers – jedenfalls vermute ich, dass sie es waren –, südöstlich der Highschool sehen. Hat sich angehört, als wären alle da draußen.« Als Junge hatten die drei Tage des Old-Settlers-Jahrmarkts für ihn das Herz des Sommers gebildet und gleichzeitig das letzte freudige Ereignis vor dem niederschmetternden Countdown bis zum Schulanfang. Old Settlers hatte ihm die Einsicht in die Entropie gebracht.
»Ja, klar doch«, sagte Ackroyd. »Da wird heute Abend viel los sein, mit dem Grillfest der Jaycees und allem. Wir hätten immer noch genügend Zeit hinzufahren, wenn Sie möchten. Im Zelt der American Legion schenken sie bis um elf Bier aus.«
»Nein danke, Bill. Ich bin eigentlich ziemlich müde. Ich denke, ich lege mich hin. Sagen Sie Terry gute Nacht von mir, ja?«
Ackroyd lief voraus nach drinnen und schaltete das Licht über der Treppe ein. »Terry ist rüber zu seinem Freund Don nie Peterson. Die beiden verbringen das Old-Settlers-Wochenende gemeinsam, seit sie im Kindergarten waren.«
Mrs. Ackroyd machte sich im Gästezimmer zu schaffen und vergewisserte sich, dass Baedecker zusätzliche Decken hatte, obwohl es eine warme Nacht war. In dem Raum herrschte ein angenehm vertrauter Motelzimmergeruch. Mrs. Ackroyd lächelte ihm zu, schloss leise die Tür, und Baedecker war allein.
Es war fast ganz dunkel in dem Zimmer, abgesehen vom Leuchten seines digitalen Reiseweckers. Baedecker legte sich zurück und starrte in die Dunkelheit. Als die schwach leuchtenden Ziffern 2:32 Uhr anzeigten, erhob er sich und ging in den verlassenen Raum mit dem Teppichboden hinaus. Von den oberen Stockwerken war kein Laut zu hören. Jemand hatte ein Licht über der kurzen Treppe angelassen, wahrscheinlich falls Baedecker noch einmal in die Küche wollte. Stattdessen ging Baedecker zum Zimmer des Jungen, zögerte einen Moment vor der angelehnten Tür und trat dann ein. Das Licht von der Treppe erhellte schwach die pockennarbige Mondoberfläche und die blauweiß aufsteigende Sichel der Erde. Baedecker stand eine Zeit lang da und wollte den Raum gerade wieder verlassen, als ihm etwas auffiel. Er machte die Tür zu und tastete sich bis zu Terrys Bett. Einen Moment herrschte tiefste Schwärze, und Baedecker war blind. Dann gewahrte er Hunderte leuchtender Pünktchen an Wänden und Decke. Die Sterne kamen heraus. Der Junge – Baedecker war sicher, dass es der Junge gewesen war – hatte das Zimmer mit Spritzern phosphoreszierender Farbe gesprenkelt. Das Halbrund der Erde erstrahlte in einem milchigen Glanz, der auch die lunaren Hochebenen und Kraterränder beschien. Baedecker hatte auf dem Mond nie eine Nacht erlebt – das hatte kein Apollo - Astronaut –,
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