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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schreckliche Schönheit seines neugeborenen Sohns. Er dachte an die Dunkelheit. Er dachte an die Lichter des Riesenrads, das sich lautlos in der Nacht drehte.
    Später, als Baedecker die Augen zumachte und schlief, leuchteten die Sterne weiter.

DRITTER TEIL
     
     
     
    UNCOMPAHGRE
     
     
     

»S ind wir alle bereit, den Berg zu erklimmen?«
    Richard Baedecker und die drei anderen Bergsteiger ließen von ihren letzten Überprüfungen der Rucksäcke und Hüftgurte ab und sahen zu Tom Gavin auf. Gavin war ein kleiner Mann, kaum eins siebzig groß, mit länglichem Gesicht, kurzgeschnittenem schwarzen Haar und stechendem Blick. Wenn er das Wort ergriff, und sei es nur, um eine einfache Frage zu stellen, schien seine Stimme mit einer angespannten Dringlichkeit, straff wie ein Draht, aus seinem Inneren zu schnellen.
    Baedecker nickte und bückte sich, um das Gewicht des Rucksacks zu verlagern. Er versuchte noch einmal, den gepolsterten Hüftgurt zu schließen, aber es gelang ihm nicht. Baedeckers Bauch war gerade stattlich und der Gürtel gerade eng genug, dass die Metallzähne der Schnalle nicht griffen.
    »Verdammt«, murmelte Baedecker leise und verstaute den Gurt so, dass er nicht zu sehen war. Er würde sich mit den Schultergurten begnügen müssen, obwohl das Gewicht des Rucksacks bereits schmerzhaft an einer Sehne im Nacken zupfte.
    »Deedee?«, fragte Gavin. Seine Tonlage erinnerte Baedecker an die Tausende Checklisten, die er und Gavin während den Simulationen durchgegangen waren.
    »Ja, Liebling.« Deedee Gavin war fünfundvierzig und damit so alt wie ihr Mann, aber sie war in das alterslose Stadium eingetreten, in das manche Frauen zwischen ihrem f ü nfundzwanzigsten und fünfzigsten Geburtstag verschwinden. Sie war blond und spindeldürr, und obwohl sie ständig in Bewegung war, drückten ihre Stimme und ihr Verhalten nicht die zwanghaft unterdrückte Spannung aus, die das Benehmen ihres Mannes bestimmte. Gavin schien ständig leicht die Stirn zu runzeln, als würde er in Gedanken versuchen, insgeheim ein Rätsel zu knacken. Deedee Gavin ließ solche Spuren intellektueller Rastlosigkeit nicht erkennen. Von den zahlreichen Astronautenfrauen, die Baedecker kennengelernt hatte, hatte Deedee Gavin in seinen Augen seit je am wenigsten zu ihrem Mann gepasst. Joan hatte vor fast zwanzig Jahren, als sich die beiden Paare im Frühjahr 1956 auf dem Luftwaffenstützpunkt Edwards zum ersten Mal trafen, prophezeit, dass die Gavins bald wieder geschieden sein würden. »Tommy?«, fragte Gavin.
    Tom Gavin Jr. schaute weg und nickte verkrampft. Er trug ausgefranste Jeansshorts und ein blaues T-Shirt mit der Aufschrift »Campus Crusade for Christ«. Der Junge war schon über einen Meter achtzig groß und wuchs noch. Im Augenblick schleppte er einen fast greifbaren Zorn mit sich herum, der an ihm hing wie ein zweiter Rucksack. »Dick?«
    »Ja«, sagte Baedecker. In seinem orangefarbenen Rucksack trug er ein Zelt mit Regenüberzug, Wasser, Extrakleidu n g, Erste-Hilfe-Kasten, Seil, Taschenlampe, Mückenschutz, einen Fiberfill-Schlafsack mit Bodendecke, Schaumstoffkissen und andere Campingsachen. Heute Morgen hatte er alles zusammen auf Gavins Waage im Bad gewogen und achtundzwanzig Pfund abgelesen, aber Baedecker war überzeugt, dass seither jemand heimlich ein paar Bowlingkugeln und eine umfangreiche Steinesammlung hinzugefügt hatte. Der eingeklemmte Nerv in seinem Nacken fühlte sich an wie eine zu straff gespannte Gitarrensaite. Baedecker fragte sich, wie es klingen würde, wenn er riss. »Bereit«, sagte er.
    »Miss Brown?«
    Maggie zog ein letztes Mal an den Schultergurten ihres Rucksacks und lächelte. Für Baedecker war es, als wäre die Sonne gerade hinter einer Wolke hervorgekommen, obwohl der Himmel über Colorado schon den ganzen Tag strahlend blau war. »Alles fertig«, sagte sie. »Nennen Sie mich Maggie, Tom.« Sie hatte sich das Haar geschnitten, seit Baedecker sie vor drei Monaten in Indien kennengelernt hatte. Sie trug Baumwollshorts und ein weiches kariertes Hemd offen über einem grünen Oberteil. Ihre Beine waren braun und muskulös. Maggie trug die leichteste Last, nicht einmal einen Rucksack mit Gestänge, sondern nur einen einfachen blauen Leinenrucksack, an d em ihr zusammengerollter Daunen schlafsack befestigt war. Alle anderen trugen schwere Bergsteigerstiefel, Maggie dagegen nur kurze Nikes. Baedecker rechnete halb damit, dass sie wie ein losgelassener Luftballon davonschweben würde, während

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