Monde
versuchte sich zu räuspern, dann sprach er weiter. »Die Ersten. Ich weiß, sie lagen wahrscheinlich einfach nur eine Zeit lang nach Luft schnappend am Ufer und kehrten dann in den Ozean zurück. Als sie starben, sanken ihre Knochen nach unten zu denen aller anderen im Urschlamm. Das ist klar, aber das habe ich auch nicht gemeint.« Baedecker drehte sich halb zu Ackroyd und den anderen um, als bäte er um Hilfe, dann blickte er wieder in die Menge. Er senkte den Kopf einen Moment, hob ihn aber hastig wieder und schaute ihnen in die Gesichter. Er erkannte niemanden. Seine Augen fanden nicht den richtigen Brennpunkt. Er fürchtete, dass ihm womöglich Tränen übers Gesicht liefen, konnte aber nichts dagegen machen.
»Haben sie geträumt ? «, fragte Baedecker. Er wartete, bekam aber keine Antwort.
»Sie müssen wissen, dass sie die Sterne gesehen hatten«, sagte Baedecker. »Obwohl sie am Ufer lagen und nach Luft schnappten und nur ins Meer zurückkehren wollten, hatten sie die Sterne gesehen.«
Baedecker räusperte sich wieder. »Ich will wissen … bevor sie starben … bevor ihre Gebeine zu den anderen sanken … haben sie geträumt? Ich meine, selbstverständlich haben sie geträumt, aber waren sie anders? Diese Träume. Ich versuche damit zu sagen … « Er verstummte.
»Ich glaube … «, begann Baedecker und verstummte wieder. Seine Hand stieß mit dumpfem Geräusch gegen das Mikrofon, als er sich rasch wegdrehte. »Danke, dass ich heute bei Ihnen sein durfte«, sagte Baedecker, aber sein Kopf war abgewandt, das Mikrofon stand schief, und niemand hörte ihn.
Kurz vor drei Uhr übergab sich Baedecker leise und gründlich. Er war dankbar für das Bad neben dem Gästezimmer. Hinterher putzte er sich die Zähne, spülte den Mund aus und wanderte durch den Keller zu Terrys verlassenem Zimmer.
Die Ackroyds hatten sich schon vor Stunden hingelegt. Stille herrschte im Haus. Baedecker machte die Tür zu, damit kein Licht hereinfallen konnte, und wartete, bis die Sterne herauskamen.
Und sie kamen. Einer nach dem anderen tauchte aus der Dunkelheit auf. Es waren mindestens mehrere Hundert. Die sonnenbeschienene Hemisphäre der Erde, drei Durchmesser über den lunaren Gipfeln, war ebenfalls mit phosphoreszierender Farbe gesprenkelt worden. Die Oberfläche des Mondes leuchtete im sanften Bad reflektierten Erdlichts. Die Sterne brannten. Krater warfen undurchdringliche Schatten. Die Stille war absolut.
Baedecker legte sich auf das Bett des Jungen, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass er die Decke nicht zerwühlte. Er dachte an den kommenden Tag. Wenn er wieder in Chicago war und sich zurückg emeldet hatte, würde er bei Bor man und Seretti vorbeischauen. Mit etwas Glück konnten sie sich am Abend zu einem zwanglosen Dinner treffen und sich über das Airbus-Geschäft unterhalten, bevor die Versammlung richtig losging.
Nach dem Essen würde Baedecker Cole Prescott in dessen Haus in St. Louis anrufen. Er würde ihm mitteilen, dass er kündigte, und über die Details zu einem schnellstmöglichen Austritt verhandeln. Anfang September wollte Baedecker St. Louis verlassen haben. Am Labor Day, wenn es klappte.
Und was dann? Baedecker hob den Blick zur Erde, die am Sternenhimmel leuchtete. Die wirbelnden Wolkenmassen waren brillant eingefangen. Er würde seinen vier Jahre alten Chrysler Le Baron gegen einen Sportwagen eintauschen. Eine Corvette. Nein, etwas wie eine Corvette, schlank und stark, aber mit einem richtigen Schaltgetriebe. Etwas, das man mit viel Spaß schnell fahren konnte. Baedecker grinste, so durch und durch einfach war alles.
Was dann? Noch mehr Sterne wurden sichtbar, als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnten. Der Junge muss stundenlang gearbeitet haben, dachte Baedecker, starrte zur Decke und entdeckte jetzt ferne Galaxien, die sich als gewaltige, langsame Sternenarme drehten. Er würde nach Westen fahren . Es war viele Jahre her, seit Baedecker zum letzten Mal quer durch den Kontinent gefahren war. Er würde Dave in Salem besuchen und etwas Zeit bei Tom Gavin in Colorado verbringen.
Was dann? Baedecker hob die Hand und ließ das Gelenk auf der Stirn ruhen. Er hatte Stimmen in den Ohren, aber die Hintergrundgeräusche machten es unmöglich, sie zu verstehen. Baedecker dachte an graue Grabsteine im Gras und dunkle Umrisse, die zwischen den rostigen Stoßdämpfern eines Hudson Baujahr ‘ 38 herumwuselten. Er dachte an das Sonnenlicht, das auf den Wasserturm von Glen Oak fiel, und an die
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