Monde
achtundzwanzigsten Hochzeitstag. Baedecker war wegen der Formalitäten nach Boston geflogen und hatte dort einen Tag in Carl Bumbrys Haus verbracht. Er hatte vergessen, dass Carls Frau enger mit Joan befreundet gewesen war als Carl mit ihm. Die zweite Nacht verbrachte er im Holiday Inn in Cambridge.
Zwei Stunden vor dem Gerichtstermin zog Baedecker seinen besten dreiteiligen Sommeranzug an. Joan gefiel der Anzug, sie hatte ihm vor drei Jahren geholfen, ihn auszusuchen. Wenige Minuten bevor es Zeit war aufzubrechen, wurde Baedecker klar, dass er genau wusste, in welchem Kleid Joan zu ihrem Termin erscheinen würde. Sie hatte sicher kein neues gekauft, weil sie es danach nie wieder anziehen würde. Sie würde nicht ihr weißes Lieblingskleid oder den etwas strengeren grünen Hosenanzug tragen. Heute würde ihr nur das purpurne Baumwollkleid leicht und nüchtern genug sein. Und Baedecker hatte die Farbe Purpur nie leiden können.
Baedecker zog unverzüglich Tennisshorts, ein blaues T-Shirt und Tennisschuhe an. Er streifte das schweißgetränkte Handgelenkband über und warf Schläger und eine Packung Bälle auf den Rücksitz seines Mietwagens. Bevor er zum Gericht aufbrach, rief er Carl Bumbry an und vereinbarte ein Spiel für halb fünf in Carls C lub, unmittelbar nach der Schei dungsverkündung.
Joan trug das purpurne Kleid. Baedecker unterhielt sich vor und nach der Verkündung kurz mit ihr, konnte sich später aber an kein Wort mehr erinnern. An den Punktestand der Tennisspiele hingegen schon – Carl hatte 6:0, 6:3 und 6:4 gewonnen –, und auch die Einzelheiten jedes Spiels waren Baedecker lebhaft im Gedächtnis geblieben. Nach dem Match duschte Baedecker, zog sich um, stopfte seine Kleidungsstücke in den alten Militärseesack und machte sich auf Richtung Norden, nach Maine.
Wie ihm später bewusst wurde, fuhr er auf Monhegan Island, weil Joan immer dorthin gewollt hatte. Lange bevor sie nach Boston gezogen waren, selbst an den heißen Tagen in Houston, hatte Joan die Aussicht fasziniert, einen Urlaub auf der kleinen Insel vor der Küste von Maine zu verbringen. Irgendwie hatten sie nie die Zeit dazu gefunden.
Baedecker war das Bild seiner Ankunft nach einer Stunde Bootsfahrt an Bord der Laura B. im Gedächtnis geblieben. Etwa zwei bis drei Kilometer von der Küste entfernt war das kleine Boot in eine dichte Nebelbank geraten, Wassertröpfchen setzten sich an Kabeln und Tauen fest. Die Passagiere hatten ihre Gespräche eingestellt, selbst die Kinder, die am Bug spielten, hatten aufgehört, johlend herumzutoben. Die letzten zehn Minuten der Fahrt verliefen schweigend. Dann passierten sie die beiden Wellenbrecher aus Betontrümmern und fuhren in den Hafen von Monhegan Island ein. Grau gedeckte Häuser und tropfende Piers tauchten aus dem wallenden Nebel auf, verschwanden und erschienen wieder. Möwen kreisten über dem Kielwasser des Boots und stießen herab; ihre Schreie zerrissen die Stille in scharfkantige Bruchstücke. Baedecker stand allein an der Backbordreling, als er die Menschen auf dem Dock bemerkte. Zuerst war er nicht sicher, ob es sich überhaupt um Menschen handelte, so reglos standen sie da. Dann hob sich der Nebel, und er konnte die bunten Freizeithemden ausmachen, die Touristenhüte, sogar die Fabrikate von Kameras, die manche um den Hals hängen hatten.
Baedecker hatte ein seltsames Gefühl verspürt. Später erfuhr er, dass sich die Menge zweimal täglich einfand, um das Boot zu begrüßen: Touristen, die aufs Festland zurückwollten; Inselbewohner, die Gäste begrüßten; Urlauber, die aus Langeweile – immerhin gab es keinen Strom auf der Insel – nur kamen, um das Boot zu sehen. Obwohl Baedecker drei Tage auf der Insel verbrachte, las, schlief, wanderte und die mystisch anmutenden Wälder bestaunte, konnte er sich später nur noch an das Dock, den Nebel und die Gestalten erinnern, die stumm darin aufragten. Es war eine Szene aus dem Hades, wo die schon lange Toten gleichgültig darauf warteten, die frisch Verstorbenen zu begrüßen. Manchmal, besonders wenn Baedecker müde war und sich an die Scheidung und das schmerzvolle Jahr erinnerte, das ihr vorangegangen war, träumte er, er stünde auf diesem Dock im Nebel, eine graue Gestalt in grauen Schwaden, und wartete.
Der Regen hörte auf. Baedecker schloss die Augen und lauschte dem Fluss, der unten im Bachbett über die Steine gurgelte. Irgendwo im Wald rief eine Eule, aber Baedecker hörte stattdessen das Kreischen von Möwen, die
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