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Monde

Titel: Monde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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»MUSS IHM DIE CHANCE GEBEN ZU ZEIGEN, WAS ER KANN, OB ER IMMER NOCH DA IST«
    Gavin lief zum flacheren Ende des Steins und suchte nach Griffmulden. Blitze zuckten durch eine bauschige dunkle Wolke dicht über ihnen, platzten aus ihr heraus und schlugen in den eineinhalb Kilometer östlich gelegenen Uncompahgre Peak ein.
    »FÜNF KOMMA FÜNF!«, schrie Tommy. »DAS IST JA WOHL GAR NICHTS.«
    Gavin rutschte auf dem Felsen aus, glitt nach unten, fing wieder an zu klettern. Tommy tänzelte zur höchsten Spitze des Felsens zurück. »NOCH EINEN!«, brüllte er in den Wind. Jetzt konnte Baedecker den aufziehenden Regen hören und riechen, der wie ein schwerer Vorhang über die Tundra wanderte . »JAHWEH!«, kreischte Tommy. »KOMM SCHON! LETZTE MÖGLICHKEIT, IN DAS SPIEL EINZUSTEIGEN, FALLS DU DICH NOCH HIER HERUMTREIBST, HEY, JAHWEH, DU ALTER FURZ, LETZTE MÖGLICHKEIT, NOCH PUNKTE ZU MACHEN !«
    Alles geschah gleichzeitig. Die Zeltstange in der erhobenen Hand des Jungen flammte auf wie eine Neonreklame, Tommys Haar stand vom Kopf ab und waberte wie ein Nest voller Schlangen, dann verschmolz die dunkle Gestalt Gavins mit der des Jungen, und die beiden kippten von dem Felsen, als die ganze Welt in Licht und Lärm explodierte und eine gewaltige Explosion Baedecker zu Boden drückte und seine Sinne im Pulsieren reiner Energie ertränkte.
    Baedecker sollte nie erfahren, ob der Blitz den Felsen getroffen hatte oder nicht. Am Morgen fanden sie keine Spuren darauf. Als er wieder hören und sehen konnte, stellte Baedecker fest, dass er Maggie mit dem Körper abschirmte und sie im selben Augenblick versucht hatte, dasselbe mit ihm zu tun. Benommen richteten sich beide auf und schauten sich um. Jetzt regnete es in Strömen. Nur Baedeckers Zelt hatte dem Sturm getrotzt. Tom Gavin lag auf Händen und Knien, hatte den Kopf gesenkt und keuchte; sein Gesicht schimmerte leichenblass im Licht der Blitze. Tommy hatte sich auf dem nassen Boden schlotternd in Embryonalhaltung zusammengerollt. Er schluchzte, die Hände fest auf die Augen gedrückt. Deedee kauerte über ihm, hielt ihn halb im Arm und schützte ihn vor dem dunklen Himmel. Das T-Shirt klebte ihr nass am Rücken, so dass man jeden Wirbel sehen konnte. Auch ihr Gesicht war in den letzten Blitzschlägen auszumachen, bevor der Sturm nach Osten weiterzog , und Baedecker erkannte den Triumph darin. Und den Trotz.
    Maggie beugte sich zu Baedecker, bis ihre nassen Haarsträhnen seine Wange berührten. »Zehn Komma null«, sagte sie leise und küsste ihn.
    Es regnete den ganzen Rest der Nacht.  
    Kurz vor Sonnenaufgang erreichten sie den Südgrat.
    »Das ist seltsam«, sagte Maggie. Baedecker nickte, dann kletterten sie zehn Meter hinter Gavin weiter. Er hatte schon vor fünf Uhr zusammengepackt und war aufgebrochen, lange bevor das erste Licht der Morgendämmerung durch das graue Nieseln drang. Er hatte nur gesagt: »Ich bin hier, um einen Berg zu besteigen. Und das werd ich auch tun.« Weder Maggie noch Baedecker hatten das begriffen, aber sie waren mitgekommen. Baedecker konnte ihre beiden Zelte weit unten erkennen, immer noch im Schatten des Uncompahgre. Es war ihnen gelungen, Gavins Zelt in der Nacht wieder aufzustellen, aber das von Tommy war vollkommen zerstört; Nylonfetzen wehten über die Tundra davon. Als Gavin und Baedecker sich in der Dunkelheit aufgemacht hatten, um Schlafsack und Kleidung des Jungen wieder einzusammeln, hatten sie zwei weitere Whiskeyflaschen in den Überresten des Zelts gefunden. Deedee erwähnte, dass sie aus der Hausbar stammten, die die Gavins für Gäste bereithielten.
    Jetzt wartete Tom oben auf dem Kamm darauf, dass sie ihn einholten. Jetzt waren sie schon deutlich über dreieinhalbtausend Metern Höhe. Sie waren direkt nach Osten zur Kammlinie geklettert und hatten den einfacheren Aufstieg von Süden außer Acht gelassen. Baedeckers Herz schlug heftig , und er war erschöpft, aber es war eine Erschöpfung, mit der er fertigwerden konnte. Neben ihm stand Maggie mit rotem Gesicht und schwer atmend nach der Anstrengung. Baedecker berührte ihre Hand, und sie lächelte.
    »Da ist jemand«, sagte Gavin und deutete den Grat hinauf, wo sich jemand über einen steilen Abschnitt des Wegs quälte.
    »Das ist Lude«, sagte Baedecker. Er beobachtete, wie der Mann ausrutschte, stürzte und sich wieder aufrappelte. »Er schleppt immer noch den Hanggleiter mit.«
    Gavin schüttelte den Kopf. »Warum bringt sich jemand für etwas so Sinnloses um?«
    »Welche

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