Monde
ansiehst, wenn du Lust hast«, sagte Dave. »Ich will deine Meinung hören. Du bist Schriftsteller.«
»Unsinn«, sagte Baedecker. »Schöner Schriftsteller. Ich hab zwei Jahre damit verplempert, an einem dummen Buch herumzudoktern, und bin nie über Kapitel vier hinausgekommen. Schließlich wurde mir klar, dass man nur schreiben kann, wenn man auch was zu sagen hat.«
»Du bist Schriftsteller«, wiederholte Dave. »Ich wüsste gern deine Meinung darüber.« Er gab Baedecker den Rest des Stapels.
Später lag Baedecker auf dem Bett und las zwei Stunden lang. Das Buch war unvollendet – ganze Kapitel existierten nur als Inhaltsangabe, als kurze, hingekritzelte Notizen –, aber das Vorhandene faszinierte Baedecker. Der Arbeitstitel des Manuskripts lautete Forgotten Frontiers – Vergessene Grenzen –, und die einleitenden Abschnitte handelten von der Erforschung der Antarktis und des Mondes. Parallelen wurden gezogen. Manche waren offensichtlich, wie der Wettlauf, die Flagge zu errichten, die Gier danach, Erster zu sein, in sämtlichen ernsthaften oder systematischen wissenschaftlichen Programmen die Führung zu übernehmen. Andere Ähnlichkeiten waren subtiler, wie etwa die karge Schönheit der südpolaren Wüste im Vergleich mit Augenzeugenberichten vom Mond. Die Informationen stammten aus Tagebüchern, Aufzeichnungen und überlieferten Erzählungen. Sowohl bei der Antarktis wie auch beim Mond berichteten die unzulänglichen Schilderungen – die Beschreibungen der Antarktisforscher waren bei weitem besser geschrieben – von der geheimnisvollen Klarheit der Einsamkeit, der überwältigenden Schönheit eines neuen Ortes, der völlig außerhalb der Erfahrungen der Menschheit lag. Lebensfeindliche Plätze wie diese besaßen eine verführerische Anziehungskraft, die menschlichem Streben und menschlichen Empfindlichkeiten vollkommen gleichgültig gegenüberstanden.
Dave untersuchte nicht nur die Ästhetik der Erforschung, sondern hatte obendrein Kurzbiografien und psychologische Porträts von zehn Männern eingeflochten – fünf Polarforschern und fünf Astronauten. Die Polarforscher waren Amundsen, Byrd, Ross, Shackleton und Cherry-Ganard. Als ihre zeitgenössischen Gegenstücke hatte Dave vier der weniger bekannten Apollo- Astronauten ausgesucht, von denen drei den Mond betreten hatten und einer, wie Tom Gavin, im Kommandomodul im Orbit zurückblieb. Des Weiteren hatte er einen Russen aufgenommen, Pawel Beljajew. Baede cker hatte Beljajew 1968 bei der Luftfahrtausstellung in Paris kennengelernt und hatte zusammen mit Dave Muldorff und Michael Collins gehört, wie Beljajew sagte: »Möglicherweise werde ich schon bald der erste Mensch sein, der erfährt, wie die Rückseite des Mondes aussieht.« Nun las Baedecker mit Interesse, dass Beljajew nach Daves Recherchen tatsächlich ausgewählt worden war, als erster Mensch in einem modifizierten Mond-Raumfahrzeug eine Mondumkreisung zu wagen. Der Termin für den Start lag nur wenige Monate nach dem Gespräch mit Baedecker und den anderen im Frühling 1968. Stattdessen wurde zu Weihnachten Apollo 8 das erste Raumfahrzeug, das den Mond umkreiste, das Mondprogramm der Sowjets wurde stillschweigend unter dem V o rwand gekippt, sie hätten sowieso nie vorgehabt, den Mond zu erreichen. Beljajew starb ein Jahr später während einer Operation an einem blutenden Magengeschwür, und anstatt als erster Mensch berühmt zu werden, der einen Blick auf die Rückseite des Mondes werfen konnte, wurde dem unglücklichen Kosmonauten die fragwürdige Ehre zuteil, der erste tote russische »Held der Raumfahrt« zu sein, der nicht an der Kremlmauer beigesetzt wurde. Baedecker musste an seinen Vater denken – »aber dann geht plötzlich alles in Scherben, und man wartet nur noch darauf zu sterben«.
Die Kapitel über die vier amerikanischen Astronauten waren lediglich in Skizzenform vorhanden, aber welche Richtung diese Schilderungen einschlagen sollten, war offensichtlich. Wie bei den Porträts der Polarforscher befassten sich die Apollo- Kapitel mit den Gedanken der Astronauten in den Jahren nach ihren Missionen, mit neuen Perspektiven, die sie wieder verloren, und einem Diskurs über die Frustration, die sie möglicherweise angesichts des Gedankens empfanden, dass sie nie wieder zu dieser speziellen Grenze zurückkehren konnten. Baedecker war mit der Auswahl der Astronauten einverstanden und fragte sich neugierig, was sie sagen und empfinden mochten; eindeutig würde dies das
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