Mondgeschöpfe (Phobos)
waren alle kleiner als er. Und seine Aufmachung mit all den Totenköpfen und Silbermonstern wirkte auch nicht gerade beruhigend auf den Schulbetrieb. So bekam er seinen Abschluss kurz vor der Volljährigkeit. Allerdings mit einem Zeugnis verbunden, das nicht einmal lohnte als Klopapier benutzt zu werden. Örmel bekam keine Lehrstelle, sondern jobbte auf dem Großmarkt. Seine Vorbilder waren GAMMA RAY, insbesondere mit dem Song: SPACEEATERS. Stan und Olly, die beiden Roadies und Gorillas hatten jetzt alle Hände voll zu tun. Sie wehrten immer wieder Fans ab, die sich auf die Band stürzen wollten, statt ins Publikum. Das Letztere hatte sich irgendwann einmal so eingebürgert, stammte wohl noch aus den alten Zeiten des Metal von AC/DC oder den SCORPIONS, dass junge Fans die Bühne erklommen und sich von dort bäuchlings in die kochende Menge warfen. Auch das hatte diesen Destroyertouch, der die ganze Szene auszeichnete. Coin und Kevin schrien den Refrain:
"Sie haben Softeis im Gehirn und in den Adern..." Der ganze Saal schrie mit. Es wurde heiß. Ein unglaublicher Gestank begann sich in der Kokerei zu verbreiten. Der Geruch alten Teers, Ammoniaks, Schwefelwasserstoffs und Benzols vermischte sich mit aktuellen Spray- und Rasierwasserdüften, dem unverkennbaren Geruch nach Ungewaschenem, sowie mit Schnaps- und Bierfahnen.
Kevin:
" Sie haben Autos mit Kassettendeck
um sich beim Fahren noch
bedudeln zu lassen...
Sie haben Plastikhände und Plastikaugen.
Sie fühlen nichts, sie sehen nichts.
Sie wollen Roboter für die Ehefrau!"
Schrille Pfiffe klangen auf.
"Schick sie zu mir", schrien einige.
"Elektrobabysitter für ihr kleines Kind,
' ne Tonne Tabletten für das Glücksgefühl."
Kevin ließ wieder den kreischenden Heavysound seiner Gitarre einfallen. Seit er den IBANEZ- Verzerrer noch vorschaltete, war er gar nicht mehr zu bremsen. Kevin wand sich mit der Gitarre, als wäre sie eine tollwütige Riesenkobra. Dann sang und begleitete er vergleichsweise sanft:
"...und Goldringchen am Verlobungstag,
...und lange Reden am Todestag."
Wieder der Tod, der sie alle so faszinierte und der permanent im Raum präsent war. Der Tod driftete durch das Konzert, manifestierte sich relativ harmlos in unzähligen Aufklebern, in Tätowierungen, Totenköpfen, Monstern, Spinnen Schlangen, Drachen, Vampiren, Werwölfen, aber auch weniger harmlos in den Waffen, die zu solchen Konzerten mitgenommen wurden und in der latenten Aggression, die bei solchen Gelegenheiten jeder Zeit in einer Gewalttat explodieren konnte.
"So frieren sie ihr ganzes, langes Leben.
Sie brauchen die Wärme,
das Brennen unserer Ideen..."
Kevin zweifelte oft daran, dass ihn überhaupt jemand brauchte. Außer der Gruppe DEATHVILLE natürlich. Vielleicht brauchten ihn auch die fünf Sozialarbeiter ein bisschen. Dieser ganze Laden war so etwas wie eine Freie Jugendinitiative und wurde von den Sozis der Stadt finanziell am Laufen gehalten. Aus eigenen Kräften wäre DEATHVILLE niemals zu dieser Anlage gekommen.
"Ohne uns wärt ihr arbeitslos", sagte Kevin oft zu den Sozialarbeitern, wenn er schlecht drauf war. Die von der Stadt kamen sowieso nur mit der Knete 'rüber, damit diese 500 Typen hier ihren Spielplatz hatten. Sie hatten dann vielleicht nicht den Trieb drauf, in der Innenstadt schnieke Diskos platt zu machen oder schöne, teure Autos anzuzünden.
"Sie nehmen immer nur von uns,
verwässern es, verändern es,
bis es passt in ihre Plastikwelt..."
Olly schlug gerade einen Jungen zusammen, der gegen die riesige Lautsprecherwand getreten hatte.
Wie kann einer nur so bescheuert sein, sich mit Olly anzulegen, dachte Kevin, der hat sich doch bestimmt das letzte bisschen Gehirn weggeschnüffelt.
Der Refrain kam jetzt etwas verändert, einfühlsamer:
"Sie haben Softeis im Gehirn und in den Adern,
mit schläfrigen Augen bringen sie alles um.
Wir hassen für sie, wir lieben für sie,
wir trauern für sie,
um diese arme alte, total kaputte Welt."
Kevins letztes Solo schlug alles.
Erste Schlägereien brandeten im Zuschauersaal auf. Und sie waren erst beim dritten Song. Allerdings hatten alle Songs Überlänge. Es schien ein guter Abend zu werden. Da ging was ab. DEATHVILLE machte den Abgang in die Pause. Bei diesen Auftritten tranken sie ungeheuer viel. Ihr Sound, irgendwo zwischen Heavy Metal und Punk anzusiedeln, kostete wegen der ihm eigenen Lautstärke, der Hektik und dem ganzen neurotischen Rumgemache ungeheuer Nerven. Zumal sie privat eigentlich
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