Mondglanz
ersten Eintrag vor.«
Obwohl ich das nicht zum ersten Mal erlebe, zucke ich zusammen, als ich Constance mit Mairs whiskygeschwängerter Stimme sprechen höre, und das auch noch, ohne dabei den Mund zu bewegen. Es klingt genauso wie das Gekrächze, an das ich mich aus der Zeit unserer kurzen Bekanntschaft erinnern kann. Bevor sie ihr Leben gab, um alle anderen zu retten.
»Tanse hat mir heute eine unliebsame Überraschung bereitet. Statt Hon hat sie außer dem Schiff noch einen halb verrückten Psiler mitgebracht. Sie hat gesagt, sie hätte keine Wahl gehabt, aber ich glaube, sie hat es einfach nicht übers Herz gebracht, ihn von seinen Qualen zu erlösen. Sie braucht nur einen dunkeläugigen Burschen zu sehen, und schon weiß sie nicht mehr, was sie tut.«
Als ich »dunkeläugiger Bursche« höre, muss ich lächeln. Nur jemand, der erheblich älter ist als Marsch, würde ihn als Burschen bezeichnen. Aber auf die Chi-Meisterin traf das in jedem Fall zu. Ich kann immer noch nicht fassen, wie sie in jener Nacht mit geradezu übernatürlicher Geschwindigkeit davongerannt ist, um den Köder zu spielen. Ich war zuvor noch nie einer echten Chi-Meisterin begegnet und hätte nie geglaubt, wie unfassbar gut sie ihre Lebensenergie steuern können.
Ich höre ein Seufzen und ein Rascheln, und es klingt, als wäre Mair ruhelos auf und ab gegangen, während sie sprach. »Wir brauchten einen halben Tag, um seinen Namen aus ihm herauszubekommen. Wenn alles läuft wie geplant, habe ich eigentlich gar keine Zeit für so was. Aber es geht mir genauso wie Tanse. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihn zu töten. In seinem Kern brennt ein ganz außergewöhnliches Feuer … er könnte Großes erreichen, wenn er nur die Gelegenheit bekommt. Auf jeden Fall wäre er von großem Nutzen, wenn ich ihn wieder hinkriegen kann.«
Ein interessanter Ausdruck in diesem Zusammenhang: hinkriegen. Was, zum Teufel, hat sie bloß mit ihm gemacht?
Mair spricht weiter: »Dr. Solaith ist nach langem Training nach Lachion zurückgekehrt. Für dieses Projekt braucht er Fertigkeiten, die er sich hier nicht aneignen konnte. Ich bin heilfroh, dass sich einer von unseren Leuten dazu bereit erklärt hat. Die meisten Männer kämpfen lieber, als nachzudenken, aber Saul war schon immer was Besonderes. Diese Kommune auf Saleris« – ist das nicht einer von diesen Super-G-Planeten? – »hat ihn ganz schön verkorkst, als er noch ein Kind war. Wahrscheinlich hätten sie ihn längst umgebracht, wäre Rose nicht zur Stelle gewesen und hätte sich für ihn eingesetzt.«
Es folgt eine lange Pause, nur unterbrochen von irgendwelchen unidentifizierbaren Geräuschen, bis Mair anscheinend wieder einfällt, dass die Aufzeichnung noch läuft. »Das wäre alles heute. Sitzung beenden.«
»Stöberst du mal wieder in meiner Vergangenheit herum?«, flüstert Marsch.
Ich muss mir den Mund zuhalten, um nicht laut aufzuschreiben. Ganz langsam drehe ich den Kopf und sehe Marsch hinter mir. Wie lange er wohl schon da steht? Die Härchen in meinem Nacken richten sich auf, als er in meinen Geist greift wie ein Fischer in ein prall gefülltes Netz.
Rote Eisnadeln durchlöchern mich. Genauso fühlt er jetzt: blanke, schneidende Wut. Als er sich wieder zurückzieht, zittere ich am ganzen Körper.
»Lange genug«, antwortet er und setzt sich neben mich. »Wenn du es unbedingt wissen willst, warum fragst du nicht?«
»Aus zwei Gründen. Das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben, warst du nicht besonders zugänglich.« Das entspricht zweifellos der Wahrheit. »Du warst recht … launisch.« Was für eine Untertreibung.
Mit kaltem, hartem Blick fixiert er mich, aber ich lasse mich nicht aus der Fassung bringen.
»Außerdem glaube ich nicht, dass du dich immer noch ändern willst. Du könntest lügen, mich an der Nase rumführen oder versuchen, mir das Ganze auszureden. Aber wenn ich es auf diese Weise herausfinde, kannst du nichts dagegen unternehmen.«
»Doch, kann ich. Indem ich dich umbringe.« Mit einer Bewegung, so schnell, dass ich sie kaum wahrnehme, legt er seine riesige Hand um meinen Hals.
12
Das Seltsame ist: Er scheint nicht mal wirklich wütend zu sein. Wie beiläufig umfasst seine Hand meinen Hals, allerdings vorerst ohne zuzudrücken. Ohne die Medikamente wäre es vielleicht schon viel früher passiert, und das macht mir am meisten Angst von allem. Ich kenne ihn wohl doch nicht so gut, wie ich dachte.
Ich bin entsetzt, wie viel Dunkelheit in Marsch
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