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Mondglanz

Mondglanz

Titel: Mondglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
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ihnen getötet, und die Überlebenden können nirgendwo mehr hin. Die meisten Frauen und Kinder sind bereits von Lachion geflohen, und wenn wir das hier sauber zu Ende bringen, werden sie nie mehr zurückkommen.«
    Frenetischer Jubel erhebt sich und hallt gespenstisch von den Wänden wider. Das ganze Lager nimmt die Freudenschreie auf, und die Nachricht, dass die Zeit des Exils bald vorüber ist, verbreitet sich wie ein Feuer.
    Marsch lässt sie eine Weile brüllen, dann hebt er die Hand. »Wenn wir beim McCullough-Komplex sind, wie lautet unsere Parole?«
    »Kein Pardon!«, antwortet ein hochgewachsener Kämpfer mit von Narben übersätem Gesicht.
    »Kein Pardon!«, wiederholen die Männer im Chor.
    Ich habe genug Bildmaterial von vergangenen Kriegen gesehen, um zu wissen, was das bedeutet. Ich will nicht noch mehr sehen, aber ich kann nicht raus aus Marschs Erinnerungen. Ich wollte wissen, wovon er nachts träumt. Jetzt weiß ich es. Ich habe das Gefühl, als würde ich weinen, aber ich kann mir nicht an die Wangen fassen, um es zu überprüfen.
    Wir überspringen wieder Zeit, und ich befinde mich in der Kommandozentrale der McCulloughs. Überall liegen Leichen. Marsch hat mir das Gemetzel ersparen wollen, aber er kann nicht vollständig ausblenden, was geschehen ist. Ich weiß, dass es nicht einmal ein richtiger Kampf war. Nachdem sie die Schlacht in den Tunneln verloren hatten, waren die McCulloughs bereits auf den Knien und hatten Marschs Trupps und seinem Messer kaum noch etwas entgegenzusetzen.
    Wir gehen auf einen Mann zu, der nicht mehr als zwanzig Umläufe alt sein kann. Ein Alter, in dem man sich noch unsterblich fühlt, unbesiegbar, und von Ruhm und Eroberung träumt. Wie alle anderen ist er abgemagert, die Augen wild, das Haar steht ihm in verfilzten Fransen vom Kopf ab. Erst an seiner Kleidung erkenne ich, dass er der McCullough ist. Alle anderen sind tot.
    Er versucht zu fliehen, aber der Boden ist glitschig von Blut und Eingeweiden. Marsch macht der Gestank nichts aus, aber ich will nur noch schreien. Das hier ist schlimmer, als ich es mir je hätte vorstellen können. Schließlich rutscht der McCullough aus und schlägt hart zu Boden.
    »Ich habe eine Frau«, wimmert er, während er auf Händen und Knien weiterkriecht. »Ich habe Kinder. Ich wollte nur dafür sorgen, dass sie eine gesicherte Zukunft haben. Lass mich zu ihnen, bitte. Sie sind auf Arktur.« Das ist eine kleine Kolonie in den Außenwelten. »Tu das nicht, bitte. Ich akzeptiere die Verbannung …«
    Diesmal geht es nicht schnell durchs Kinn. Marsch bohrt ihm sein Messer zwischen die Rippen und schräg nach oben. Er weiß genau, wo sich das Herz befindet, und ich stelle mir vor, wie die Klinge zuerst durch die Lunge fährt und dann in die Herzkammer.
    Der McCullough winselt noch einmal wie ein Kind, dann bricht er zusammen.
    Marsch lässt das Messer in der Leiche stecken.
    Mit tonloser Stimme sagt er: »Der Feind ist besiegt. Beginnt mit der Bestandsaufnahme von Grundstücken und Gebäuden. Das alles gehört jetzt uns.« Er holt sich einen Mann heran, den ich schon einmal gesehen habe, an dessen Namen ich mich aber nicht erinnern kann. »Oberste Priorität ist herauszufinden, was sie mit den Teras gemacht haben.«
    Der Kämpfer salutiert zackig, und während sich seine Männer an die Arbeit machen, wandert Marschs Blick zu Boden, wo das Blut um seine Stiefel fließt.

29
    Ich komme zu mir, ein zitterndes Häufchen auf dem Boden. Meine Wangen sind nass von Tränen.
    Marsch sitzt ein paar Meter weit weg. Er wirkt immer noch angespannt. Seine langen Finger trommeln einen schwermütigen Rhythmus auf die Oberschenkel.
    »Jetzt weißt du, wovon ich träume«, sagt er schließlich. »Und das war noch nicht alles. Willst du auch den Rest sehen, Jax?«
    Zum ersten Mal weiß ich nicht, was ich sagen soll. Verdammt, nein, ich will nicht noch mehr sehen. Schlimm genug, dass er mit diesen Erinnerungen leben muss. Kein Wunder, dass er Docs Medikamente ohne ein Wort des Protests genommen hat. Hätte ich durchgemacht, was er erlebt hat, ich würde selbst meinen Namen vergessen wollen.
    Ich frage mich, ob ich ihn überhaupt wieder hinkriegen kann, ganz egal, wie sehr ich ihn liebe. Mir ist eigenartig zumute, ich fühle mich wie schockgefroren. Es heißt, wilde Tiere gehören in die freie Wildbahn und nicht unter Menschen, die sie jeden Moment anfallen könnten, weil das nun mal ihre Natur ist. Heißt das, Marsch sollte wieder zurück nach Nicu

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