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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Bisher hatte sie kaum das warme Licht bemerkt, das die Herbstsonne über die frisch abgeernteten Felder schickte. Als sie den Wald erreichte und den Schatten der Bäume betrat, hob sie die Nase und atmete tief den harzigen Duft des Holzes ein. Ihre Wölfin liebte den Wald.
    Die Luft war feucht und kühl. Laub knisterte unter ihren Füßen und vereinzelt zwitscherten Vögel. Hier war sie ganz allein, denn keiner kam hierher, wenn er nicht musste. Selbst jetzt, da es Pilze und Beeren gab, wagten sich nur wenige weiter als ein paar Steinwürfe in den Wald hinein. Zu dunkel war es hier, zu unheimlich die Vielfalt der Geräusche, und zu viele Geschichten kursierten über böse Wesen, die sich hinter den Bäumen verbargen, Wölfe und Bären, Trolle und Hexen. Veronika war selbst einmal der Ansicht gewesen, dass Wälder unheilige Orte waren, und es kam ihr in den Sinn, wie sehr sie sich seitdem verändert hatte. Nun gehörte sie selbst zu den Wesen, die die Menschen fürchteten. Doch obwohl sie sich einsam dabei fühlte, anders zu sein als alle anderen, bereute sie ihr Wolfssein schon lange nicht mehr.
    Sie erreichte eine Lichtung, auf der Steinpilze in Grüppchen beisammenstanden und in der Sonne glänzten. Ihre Mutter hatte sie einst gelehrt, diese Pilze zu erkennen und ihren Geschmack zu lieben. Wehmütig lächelte sie, als sie sich auf den Boden kniete und ein Messer aus ihrem Korb holte. Sie war noch so jung gewesen, als ihre Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen waren, und doch konnte sie sich immer noch das Gesicht und die Stimme ihrer Mutter in Erinnerung rufen. Hellblond wie ihre Tochter war sie gewesen, stets mit einem Lachen auf den Lippen und fröhlich blitzenden Augen. An ihren Vater erinnerte sie sich dagegen kaum, zu oft war er fort gewesen, um seinem Schwager Ulrich Cilli zu helfen. Was ihre Eltern wohl sagen würden, wenn sie jetzt aus dem Himmel auf sie heruntersahen? Sie konnte es sich kaum vorstellen. Zu viel war im letzten Jahr geschehen, das sie von allem Altbekannten trennte.
    Geschickt trennte sie die Pilze von ihren Wurzeln und legte die braunen, glänzenden Kappen in den Korb. Der Wind rauschte sanft in den Laubbäumen, und manchmal segelte ein gelbes Blatt herab, um sich geräuschlos auf das Moos des Waldbodens zu betten.
    Ihr Korb war beinah gefüllt, als plötzlich neue Geräusche die Stille durchbrachen. Sie hob den Kopf. Ihre Wölfin lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit.
    Sie hörte Geschrei in der Ferne, mehrere Stimmen, die fast vom Wald verschluckt wurden. Rasch richtete sie sich auf, verharrte dann jedoch unschlüssig. All ihre Instinkte rieten ihr, sich verborgen zu halten, doch ihre Neugier trieb sie herauszufinden, wer sich diesen einsamen Ort zum Streiten gesucht hatte. Sie packte ihren Korb und machte sich auf den Weg. Sie musste sich ja nicht zeigen, es reichte, wenn sie nah genug herankam, um zu verstehen, worum es ging. Sie spitzte die Ohren, während sie sich möglichst geräuschlos durch den Wald bewegte. Bald erkannte sie, dass es sich bei den Streitenden um Kinder handelte. Ihre hellen Stimmen wurden lauter, je näher sie kam, und nun verstand sie einzelne Worte.
    »Drecknasen, Zigeunerpack!«
    »Verschwindet von unserem Land!«
    »Zeigt eure Taschen, he, was habt ihr zu verstecken!«
    Ihre Vorsicht wich endgültig der Neugier, und sie beschleunigte ihre Schritte. Sie stieß auf den Pfad, der den Waldrand von den Feldern abgrenzte, blinzelte kurz in der Sonne, dann bog sie um ein Gebüsch und stand vor den Kindern. Augenblicklich roch sie Blut, und ihre Wölfin sträubte das Fell. Fünf Kinder sah sie, drei davon halbwüchsige Burschen mit kurzgeschorenen Haaren und braunen Bauernkutten. Sie hielten große Äste in ihren Händen. Die anderen beiden Kinder waren jünger, ihre Hautfarbe war dunkel und ihre Kleidung armselig und verschmutzt. Sie mochten gerade mal sechs oder sieben Jahre zählen. Eines von ihnen hatte eine blutige Schramme auf der Stirn. Tränenspuren glänzten auf seiner Wange, während der andere Junge voller Verzweiflung ein kleines Schnitzmesser umklammerte und auf die Burschen gerichtet hielt.
    »Mit dieser Spielzeugklinge«, spottete der eine Bauernjunge gerade, »brauchst du uns gar nicht zu kommen.«
    Es war augenfällig, welche der beiden Gruppen im Vorteil war. Empörung flammte in Veronika auf. »Was fällt euch ein«, rief sie. Böse funkelte sie die Bauernburschen an. »Lasst die Kinder in Ruhe.«
    Sie fuhren herum, und die Überraschung ließ

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