Mondherz
Berührung ließ ihn zusammenzucken, und sie sah, wie sich seine Hände verkrampften. Doch er blickte auf, sah ihr direkt in die Augen.
»Ja«, sagte er schlicht. »Ich verspreche es.«
Temeschburg, September 1456
Temeschburg war ein scheußlicher Ort, das hatte Veronika sofort gewusst, als sie dort eingeritten war. Auch Wochen später hatte sich ihre Meinung darüber nicht geändert.
Eng und dunkel waren die Gemächer der Burg, und auf dem Hof tummelten sich Schweine und Hühner, deren Mist bis in ihre Kammer stank. Die Mauern waren vom Wetter grau verfärbt und fühlten sich unter ihren Füßen kalt an, denn statt mit Teppichen wie in Belgrad war ihr Zimmer mit Stroh gegen die Herbstkälte gepolstert. Nur schmale Scharten ließen ein wenig Sonnenlicht herein. Nicht Behaglichkeit, sondern vor allem Schutz war den Erbauern wichtig gewesen. Ein doppelter Wassergraben umgab die Burg, über den mehrere Zugbrücken führten, und Graf Hunyadi hatte vor seinem Tod die Mauern noch einmal verstärken lassen.
Vor der Burg teilte sich der Fluss Temesch in drei Rinnsale auf, welche die Wassergräben befüllten und das Umland bei schlechtem Wetter in einen riesigen Sumpf verwandelten. Wie auch jetzt. Seit Tagen regnete es ohne Unterlass, und der Schlamm auf den Wegen reichte inzwischen bis über die Knöchel.
Vielleicht hätte sie sich mit ihrer neuen Heimstätte eher anfreunden können, wenn die Gräfin Hunyadi liebenswürdiger zu ihr gewesen wäre. Doch sie war eine harte Frau, knochendürr und bleich wie Kreide. Veronika hatte sie noch nie lachen gesehen. Stattdessen kniete die Gräfin Stunde um Stunde in der Burgkapelle, trauerte um ihren Mann und betete um das Wohl ihrer Söhne und ihres Bruders.
Besonders besorgt schien sie um Michaels Szilagyis Seelenheil zu sein. Denn die Gräfin wusste von den Werwölfen, sie hatte damals Michael nach seinem Reitunfall und Viktors Biss gepflegt. Obwohl sie ihren Bruder innig verehrte, missbilligte sie mit der ganzen Kraft ihres harten Herzens die Werwölfe und mied den Umgang mit Veronika, als sei ihr Wolfsblut ansteckend. Da die Bediensteten ohne nachzufragen ihrer Herrin folgten, lebte Veronika innerhalb der Burggemeinschaft unter misstrauischer Beobachtung und größtmöglicher Einsamkeit.
Ihr einziger Lichtblick waren ihre Streifzüge als Wölfin in den umliegenden Wäldern. Die Gräfin hatte ihr widerwillig gestattet, die Burg nachts über eine Nebenpforte zu verlassen. Nur zwei treue Männer standen dort Wache, welche die Order hatten, sie stets hinaus- und hineinzulassen und Stillschweigen darüber zu bewahren. Wie seltsam und auch einsam war es ihr zuerst erschienen, ganz allein dort draußen jagen zu gehen! Doch inzwischen hatte sich die Wölfin daran gewöhnt. Heute in der Morgendämmerung war sie im Nieselregen von einem solchen Ausflug zurückgekehrt, und den Nachmittag verbrachte sie dösend in ihrer dunklen Kammer, bis eine Bedienstete der Gräfin sie aufschreckte.
»Frau Hunyadi bittet Euch zum Abendessen zu sich«, richtete sie aus, und dies genügte, um Veronika aus ihrer Trägheit zu reißen. Die Magd half ihr, sich in ein frisches Gewand zu kleiden, dann eilte sie hinüber in die Gemächer der Gräfin. Wenn in Temeschburg keine Gäste weilten, und dies war meistens der Fall, fastete Frau Hunyadi oder speiste zurückgezogen in ihrer Kammer. Etwas Wichtiges musste geschehen sein, dass sie um Veronikas Gesellschaft bat. Vielleicht war lang ersehnte Nachricht aus Belgrad gekommen?
Tatsächlich hielt die Gräfin einen Brief in den Händen. Missmutig wies sie Veronika an, sich zu setzen. »Ihr habt Euch Zeit gelassen«, murrte sie, und obwohl dies nicht stimmte, nahm Veronika den Vorwurf schweigend entgegen. Schon bald nach ihrer Ankunft hatte sie erkannt, dass sie mit Widerworten bei der Gräfin einen Zorn weckte, der dem ihres verstorbenen Gatten kaum nachstand.
Bald wurden die Speisen aufgetragen, Gerstensuppe, Wildbret und frisches Brot, allerdings in einfachen Tonschalen. Veronika runzelte die Stirn. Hatte die Gräfin ihr Silbergeschirr inzwischen ebenfalls verkauft? Das würde bedeuten, dass die Geldsorgen der Hunyadis noch schlimmer geworden waren. Vor kurzem noch waren sie wohl eine der reichsten Familien Ungarns gewesen, doch der Graf hatte einen Großteil seines Vermögens für den Kampf gegen die Türken eingesetzt. Nun mussten seine Hinterbliebenen um jeden Gulden feilschen, während König Ladislaus, der nichts in die Verteidigung seines Landes
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