Mondherz
Roma.« Die Frau sagte dies mit einem leichten Stirnrunzeln, das jedoch sofort wieder verflog. »Mein Name ist Solana, und das sind Canori und Mori. Wie heißt du?«
»Veronika.« Ihre adelige Herkunft verschwieg sie.
»Ein schöner Name.« Solana lächelte zum ersten Mal, und dies ließ ihr Gesicht erblühen wie eine dunkle Rose. »Es kommt selten vor, dass jemand uns hilft. Möchtest du mit uns kommen? Es ist nicht weit, und ich stelle dir unsere Familie vor.«
Veronika war so überrascht über die Einladung, dass sie einfach nickte. An Solanas Seite schritt sie den Feldweg entlang. Die beiden Jungen lachten wieder, als sei nichts geschehen, und laut rufend rannten sie voraus.
»Verstehen sie kein Ungarisch?«
»Doch«, erwiderte Solana. »Aber sie sind zu jung, sie dürfen nicht mit
Gadžos
sprechen.«
»Gadžos?«
Fragend zog Veronika die Augenbrauen hoch.
»So nennen wir euch.« Solana lachte, dass ihre weißen Zähne blitzten. »Die bleichen Leute, die nicht zum Volk der Roma gehören.«
Ihr farbenfrohes Kleid schwang bei jedem Schritt anmutig um ihre Beine, und Veronika fühlte sich in ihrer grauen Wolle und den schweren Schuhen ganz unscheinbar. Das war ungewohnt für sie, so wie die ganze Situation. Sie lächelte bei dem Gedanken, wie unerhört ihr Verhalten auf die Gräfin wirken musste, wenn diese sie jetzt sehen könnte. Sie fühlte sich merkwürdig beschwingt. Endlich erlebte sie etwas Neues, ein kleines Abenteuer, das ihren tristen Temeschburger Alltag unterbrach. Angst hatte sie keine, und auch die Wölfin blieb ruhig. Offenbar vertraute sie der Romafrau. Solanas Duft stieg ihr in die Nase, ein fremder, blumiger Odem, der ihre Neugier noch verstärkte.
Auf der anderen Seite des Waldes, am Fuße eines Hügels, von dem man auf das Dorf Palanka blicken konnte, kam das Lager der Roma in Sicht, drei große Wagen, die in einem Dreieck aufgestellt waren. Der Geruch eines Eintopfs mit Zwiebeln und Fleisch wehte zu Veronika herüber, gewürzt von einer Prise Knoblauch, und sie hörte vielfältiges Gemurmel und Geschrei in jener fremden, singenden Sprache, die auch Solana gegenüber ihren Neffen gebrauchte. Hunde rannten ihnen entgegen, bellten und schnupperten an ihren Kleidern. Sie waren knochige Geschöpfe mit räudigem Fell, und sie trollten sich so schnell wieder, als ob sie Veronikas Wölfin riechen könnten.
Gespannt sah sie sich um, als sie zwischen zwei Wagen hindurch in das Lager traten. In der Mitte brodelte über einer Feuerstelle ein riesiger Kessel. Neben dem hinteren Wagen ästen mehrere Ochsen, Ziegen und drei Esel, deren Rücken bunte Decken schmückten. In den buntesten Farben leuchteten auch die Teppiche, die auf dem Boden als Sitzflächen dienten, und die Kleidung der Menschen, deren Gespräche verstummt waren, während sie Veronika neugierig entgegenblickten. Alle hatten sie die gleiche dunkle Haut und samtenes schwarzes Haar. Es waren vor allem Frauen und Kinder, nur zwei Männer waren dabei. Sie trugen prächtige Schnurrbärte, wie Veronika es nur von den Türken kannte, und wie ihre Frauen schmückten sie sich mit goldenen Ohrringen. Ihre Blicke waren ernst, und Veronika wollte stehen bleiben, doch Solana zog sie weiter, und die Kinder, darunter auch Solanas Neffen, vergaßen ihre Zurückhaltung und sprangen um sie herum. Mit großen Augen griffen sie nach ihrem Kleid und ihrem Korb und plapperten auf Solana ein, die sie jedoch mit einem Zischlaut wieder vertrieb.
»Keine Sorge, sie sind nur neugierig«, meinte sie mit einem Lachen, als sie Veronikas verunsicherten Blick bemerkte. »Es kommt nicht oft vor, dass wir Besucher wie dich haben.«
»Wie mich?«, wunderte sich Veronika, doch Solana schnitt ihr das Wort ab.
»Komm, ich muss dir meine Großmutter vorstellen«, rief sie und nahm Veronika bei der Hand. Sie führte sie zu einem der Karren, in dessen Schatten eine alte Frau kauerte, klein und faltig wie ein Gnom. Veronika war sich sicher, nie einen älteren Menschen gesehen zu haben, und sie neigte ehrfürchtig den Kopf vor ihr. Erst schien die Alte sie nicht zu bemerken, doch als Solana einige Worte in der Romasprache an sie richtete, hob sie ihr Haupt. Zahlreiche Furchen durchzogen ihr schmales, dunkles Gesicht. Ihre Augen blickten trüb und milchig. Sie hob eine zitternde Hand, und Veronika begriff, dass sie blind war. Solana nickte ihr jedoch aufmunternd zu, und sie legte ihre Hand in die der Alten. Jäh zog die Greisin sie zu sich herunter und fuhr mit den Fingern
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