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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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Tatsächlich, Solanas ganze Familie war in eifrige Betriebsamkeit verfallen. Zwei Frauen steckten bis zu den Ellbogen in einer Schüssel voller Teig, die anderen Frauen wuselten durch das Lager, eine Gruppe debattierte temperamentvoll, und Kinder brachten Brennholz. Sogar die blinde Großmutter, die Solana vorhin voller Respekt
Phuri Dai,
weise Frau, genannt hatte, beteiligte sich. Ihre knochigen Finger ölten liebevoll ein Hackbrett ein, ein altes, wunderbar bemaltes Holzinstrument, auf das Saiten aus Schafdarm gespannt waren.
    »Ihr müsst wegen mir nicht so viel Aufwand treiben«, murmelte Veronika verlegen, doch Solana wischte ihre Worte wie Fliegen aus der Luft.
    »Warum denn nicht?«, antwortete sie fröhlich. »Du bist unser Gast heute Nacht, keine Widerrede. Komm, sobald du kannst. Wir warten auf dich.« Sie legte ihre Hand auf Veronikas Arm. »Du hast nicht nur meine kleinen Neffen gerettet, du bist die Wolfsfrau, und ich will dich unbedingt besser kennenlernen.«
    Jetzt hatte Veronika wohl keine andere Möglichkeit mehr, als zuzustimmen. Ergeben hob sie ihren Korb. »Vielleicht benötigt ihr noch ein paar Pilze?«

[home]
    15 . Kapitel
    Temeschburg, Oktober 1456
    E ndlich war die Nacht hereingebrochen. Der Mond schien zum Fenster herein, als Veronika ihre Haare hochband und schließlich ein letztes Mal in den Handspiegel blickte. Ihre Wangenknochen traten seit der Belagerung Belgrads deutlicher hervor als früher. Doch nach wie vor leuchtete ihre Haut rosig, die Augen schimmerten in klarem Blaugrau und die strenge Frisur, in die sie ihre widerspenstigen blonden Haare gezwungen hatte, betonte ihre Stirn. Es gefiel ihr, was sie sah, auch weil sie ahnte, dass ihre sanften Farben neben Solanas dunkler Lebhaftigkeit noch zarter wirken würden.
    Durch den Garten der Gräfin ging sie nach draußen, stülpte sich die Kapuze ihres dunkelblauen Mantels über das Haar und verschmolz mit der Nacht. Der Wald hieß sie mit seinen leisen Geräuschen wie eine alte Freundin willkommen. Zweige knackten unter den Pfoten davonhuschender Tiere und eine Eule schrie, als sie sich zum Beutezug aufmachte.
    Über sich spürte sie den Mond, und sein fahles Licht hielt eine stumme, sehnsüchtige Zwiesprache mit ihrer Wölfin. Der Wald bei Nacht war wie eine Zwischenwelt, eine Pforte zwischen ihren beiden Seelen, und ihr Herz schlug warm und kräftig, während sie sich ihren Weg suchte. Sie war aufgeregt gewesen, doch nun kehrte Ruhe in ihre Gedanken ein. Als sie sich dem Romalager näherte, hörte sie von fern schon Gelächter, und sie roch das Zicklein, das über dem offenen Feuer brutzelte.
    »Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht?«, fragte Solana, als sie Veronika mit einem Kuss auf die Wange empfing. Sie führte sie zu einem Teppich, auf dem bereits Solanas Großmutter inmitten eines Turms weicher Kissen saß. Sie hatte die Augen geschlossen, und Veronika hörte an ihrem langsamen, tiefen Atem, dass sie schlief. Zögernd ließ sie sich neben ihr nieder, und Solana setzte sich dazu.
    »Das ist meine Cousine Ziborah«, begann sie und zeigte auf ein junges Mädchen, das ihr lächelnd zuwinkte. »Meine Neffen kennst du schon, aber meine Tanten Gita und Cara noch nicht. Da sitzen der kleine Ango und Paulo, der Flötenspieler. Und siehst du dort den großen Kerl? Das ist Senando, mein Mann.« Die Namen schwirrten nur so an Veronika vorüber, und es war unmöglich, sich alle zu merken.
    »Dein Mann?«, fragte sie und musterte den Roma, auf den Solana gezeigt hatte. Er saß im Schatten eines der Karren und wandte ihnen den Rücken zu, so dass sie nur sein schwarzes Haar sah, das ihm glänzend über den Rücken fiel. Er schien so vertieft in eine Schnitzarbeit zu sein, dass er die Welt um sich herum gar nicht wahrnahm.
    Solana nickte. »Senando, der beste Geigenspieler zwischen den Alpen und den Karpaten.« In ihrer Stimme schwang Stolz. »Und der sinnlichste und freundlichste Mann, den ich finden konnte.«
    Veronika schüttelte den Kopf. Die Sitten der Roma erschienen ihr so unverständlich wie eine fremde Sprache, die sie zum ersten Mal hörte. Solana kam ihr so selbstbewusst vor, viel freier, als es einer Frau geziemte, und ihre Worte klangen ganz danach, als hätte sie ihren Mann selbst ausgesucht. Zahlreiche Fragen schossen ihr durch den Kopf, und eine davon glühte heiß wie Kohle auf ihrer Zunge. »Etwas verstehe ich nicht«, murmelte sie verlegen und beobachtete, wie Solanas Mann sich erhob und auf sie zukam, als hätte er ihre

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