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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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auffällig für euereins, dass wir schon wieder unauffällig sind. Kaum einer glaubt nämlich, dass wir eure Sprache sprechen, und das Gleiche gilt für die Türken.«
    Und für Viktor spioniert ihr sowohl hier als auch dort.
Veronika musterte das Mädchen neugierig. »Kennst du Viktor gut?«
    Solana hob die Schultern. »Keiner kennt ihn wirklich, den Wolfsherrn.« Ihre Stimme klang ehrfürchtig, was kaum zu ihrer selbstbewussten Natur zu passen schien.
    Veronika dachte darüber nach, dachte an Gábor, der Viktors Schüler gewesen war. Zu gerne hätte sie Viktor einmal selbst getroffen, von dem alle mit solcher Achtung sprachen. »Warum hat er euch zu mir geschickt?«, fragte sie.
    »Er ist besorgt um dein Wohlergehen, da du hier ganz alleine bist, ohne deine Brüder.« Solana schüttelte den Kopf. »Die Roma würden nie jemanden aus ihrer Familie alleine fortschicken. Alleine ist man wie eine Flamme, die erlischt, weil sie nicht genährt wird.«
    »Er wollte also nur wissen, ob es mir gutgeht?« Veronika riss ungläubig die Augen auf. Unzählige Gedanken flogen ihr durch den Kopf wie ein aufgeregter Schwarm Schwalben. »Warum bin ich ihm so wichtig?«
    Jetzt war es Solana, die ungläubig dreinschaute. »Das fragst du? Es gibt niemanden wie dich, Veronika, niemals vorher hat meine Familie von einer Wolfsfrau gehört«, entgegnete sie. »Ich war ganz aufgeregt, dich kennenzulernen.«
    »Ja, aber …« Veronika biss sich auf die Lippen. Sie fand es seltsam, einen Menschen so über sich reden zu hören. Warum hatte Gábor die Zigeuner nie erwähnt? Aber er hatte ihr so vieles nicht erzählt, fiel ihr ein, und sie lenkte die Gedanken lieber weg von ihm.
    »Findet ihr solche Wesen wie uns nicht verwerflich?«, fragte sie. »Andere würden uns als Teufelswesen verfolgen und verbrennen.« Sie erschauerte. »Darum halten wir unsere Natur stets vor den Menschen geheim.«
    Solana blickte sie nachdenklich an. »Hältst du denn deine wölfische Seele für verwerflich?«
    Veronika zögerte, doch dann schüttelte sie den Kopf. »So dachte ich anfangs«, räumte sie ein, »doch inzwischen weiß ich, dass ich ohne die Wölfin nicht mehr sein kann. Sie ist meine andere Hälfte. Wenn ich sie für verderblich halte, muss ich mich als Ganzes verdammen.«
    Nun, da sie dies zum ersten Mal gegenüber einer Fremden aussprach, spürte sie, dass es wirklich stimmte. Sie wollte niemand anders mehr sein als die, die sie war, und diese Gewissheit legte sich wie ein wärmender Mantel um ihre Schultern.
    Solana blickte sie immer noch unverwandt an. »Ich verstehe dich«, sagte sie. »Sieh uns an, wir Roma werden ebenfalls verunglimpft. Wir sind Fremde, und deshalb verurteilen die meisten unsere Bräuche als Teufelszeug. Was uns schützt, ist unser Stolz und unser Zusammenhalt.«
    Veronika senkte den Kopf. »Ich habe eben gesehen, wie sie euch behandeln. Dabei waren es nur Kinder.«
    »Du hast es nicht nur gesehen, sondern etwas dagegen unternommen«, erwiderte Solana energisch. »Auch deshalb unterscheidest du dich von den Menschen, Veronika.« Sie lächelte, und ihr ganzes Gesicht leuchtete auf. »Ich mag dich jetzt schon, und ich hoffe, wir werden noch viele Gelegenheiten haben, miteinander zu reden.«
    Veronika nickte nur, denn Solanas Freundlichkeit raubte ihr die Worte. Es kam ihr so vor, als wären sie schon Freundinnen, obwohl sie sich nur wenige Minuten kannten. Sie hatte es vermisst, mit jemandem solch offene Gespräche zu führen.
    In diesem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne, und Schatten legten sich über das Land, als ob es bereits dämmerte. Es war ja auch schon später Nachmittag, erinnerte Veronika sich. Nicht mehr lange, und die Händler in der Burg würden ihre Geschäfte beenden.
    Sie sprang auf. »Ich muss zurück, bevor der Gräfin meine Abwesenheit auffällt.« Es tat ihr leid, die Roma schon wieder zu verlassen.
    Solana schnellte ebenfalls in die Höhe, biegsam wie eine junge Birke. »Komm wieder«, meinte sie, dann lachte sie plötzlich. »Schau, meine Familie bereitet schon ein
Pativ
für dich vor, ein Festmahl zu Ehren eines Gastes.«
    »Ein Festmahl?« Veronika staunte. »Es ist doch noch helllichter Tag.«
    Solana kicherte ausgelassen. »Bei uns gibt es keine halben Sachen. Ein Zicklein muss geschlachtet und gebraten, die Festkleider angelegt, die Musikinstrumente vorbereitet und das Feuer neu geschürt werden. Bald gehen die Sterne auf. Dann kehrst du zurück, versprichst du mir das?«
    Veronika sah sich um.

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